Oskar Hartmann
Der Millionenmann – das unglaubliche Abenteuer eines Aufstiegs

Sein Vater ging putzen, um die Familie durchzubringen. Oskar Hartmann wuchs in einem Flüchtlingsheim auf. Heute ist der Deutsche Millionär und der Star der russischen Start-up-Szene. Wie es der deutsch-russische Gründer nach ganz oben schaffte.

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Wie wird man zu einem Start-up-Star? Oskar Hartmann in seinem Büro in Moskau
Wie wird man zu einem Start-up-Star? Oskar Hartmann in seinem Büro in Moskau
© Wassily Ilyinsky / Agentur Focus

Der Mann, der so gern Erster ist, kommt eineinhalb Stunden zu spät. Das ist nicht unverschämt unpünktlich, zumindest nicht in Moskau. Durchschnittlich steht ein Autofahrer hier 127 Stunden pro Jahr im Stau.

„Sorry“, sagt Oskar Hartmann und lächelt. Damit ist die Sache abgehakt. Er zieht die Jacke aus, gibt sie seiner Assistentin, nimmt eine Flasche Wasser und fragt: „Für wen schreiben Sie? Wer sind Sie? Warum sind Sie hier?“ Nach zwei Minuten Kennenlernen ist klar: Hier wird keine Zeit vertrödelt.

Oskar Hartmann legt ein Tempo vor, das für durchschnittlich begabte und aktive Menschen kaum nachvollziehbar ist. Er ist 32 Jahre alt und hat mehr als 20 Firmen gegründet, darunter ein Dating-Portal, einen Shopping-Sender, eine Jobbörse, eine Hotelbuchungsseite. Während des Studiums legte er doppelt so viele Prüfungen ab, wie verlangt wurden. Er wollte so viel wie möglich mitnehmen und schrieb sich für fast alle Kurse ein.

Unfähig, Langeweile zu ertragen

Die Skulpturen in seinem Büro hat er selbst gemeißelt, die düsteren Gemälde eigenhändig gemalt. Ein Freund erzählt, dass er unfähig sei, Langeweile zu ertragen. Wenn Hartmann mit seinen beiden Kindern auf den Spielplatz gehe, dann nie zweimal auf denselben.

Der Unternehmer setzt sich hinter seinen großen Schreibtisch. In den nächsten Stunden wird er seine Geschichte erzählen: Ein Kind aus einer Aussiedlerfamilie verschlägt es von Kasachstan nach Deutschland. Der Junge wächst im Flüchtlingsheim auf, lässt sich aber nicht unterkriegen und arbeitet sich mit brillantem Geschäftssinn und Einsatz zum Millionär hoch. Eine Aufsteiger-Story, wie gemacht für Hollywood. Sogar Arnold Schwarzenegger kommt darin vor.

An der Wand im Büro hängt eingerahmt seine erste Gewerbeanmeldung. „Verkauf von Nahrungsergänzungsmitteln“ steht dort in Schreibmaschinenschrift. Unten auf das Dokument hat ein Beamter der Stadt Neunburg am 14.03.2002 einen Stempel gedrückt. Hartmann war damals 19 Jahre alt und hatte einen Angestellten. Sich selbst.

Der geplante Erfolg

Heute gibt er auf seinem LinkedIn-Profil als Hobby „Bewerbungsgespräche“ an. Viele nennen ihn den derzeit erfolgreichsten und aktivsten Gründer Russlands. Seine größte Firma, der Online-Shoppingclub KupiVIP, hat rund 100 Millionen Euro Venture Capital einge­sammelt und ist in den vergangenen Jahren ­rasend schnell gewachsen. Das Start-up verkauft Kleider zu Sonderkonditionen an registrierte Mitglieder, nach dem Vorbild des französischen Portals Vente Privee. Im siebten Jahr zählt KupiVIP 1000 Mitarbeiter. Der Umsatz lag 2013 bei rund 200 Millionen Euro.

Zwei weitere Firmen hat Hartmann bereits verkauft. Was er für seinen Homeshopping-Sender kassierte, ist nicht bekannt. Der Online-Schuhhandel Sapato ging an Ozon.ru, das russische Amazon. Kaufpreis: 70 Millionen Euro. Hartmann gehörten 14 Prozent der Firma.

Was dieser Mann anfasst, scheint zu gelingen. Es klingt alles so leicht, wenn er erzählt. Hartmann lacht viel, seine Augen haben etwas Spitzbübisches. Sein Bauch wölbt sich ein wenig. Er isst gern große Portionen.

Doch wer ihn näher kennenlernt, versteht: Sein Erfolg hat nichts mit Glück zu tun, nichts mit Fügung oder Zufall. Hartmann hat weder geerbt, noch ersann er eine geniale Idee, die ihn über Nacht zum Millionär machte. Er hat seinen Aufstieg vielmehr konsequent geplant. Freunde und Geschäftspartner sagen, er schufte unglaublich hart. Hartmann ist ein Mensch, der Ziele in Teilaufgaben zerlegt, genau analysiert, was er tun muss, um voranzukommen. Er hat Geschäftsfelder durchleuchtet und ganz nüchtern die ausgewählt, die ihm die Chance boten, einen Markt als Erster zu erobern.

Das hat ihn auch Richtung Osten getrieben. Hartmann besitzt zwei Pässe, fühlt sich jedoch als Deutscher. Am Ende seines BWL-Studiums nimmt er einen Job in Moskau an, verdient als Juniorberater 8000 Euro im Monat. Das üppige Gehalt ist aber nicht entscheidend, auch nicht, dass seine Frau Russin ist. Was Hartmann beinahe magnetisch anzieht, ist die Goldgräberstimmung. 2007 ist Russland ein Reich der Möglichkeiten. Die Wirtschaft boomt. Der Onlinemarkt ist kaum entwickelt. Man kann alles gewinnen und alles verlieren.

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Mit seinem Studienfreund Damian Doberstein durchsucht er die russische Wirtschaft nach Marktlücken. „Bäckereien und solche Ideen haben wir gleich weggelassen“, sagt Hartmann. Sie schauen sich nur Milliardenfirmen an, die sie nachbauen können. So kommen sie auf die Idee mit dem Shoppingclub. Das Potenzial: 140 Millionen Kunden, die bis dahin eigentlich nur zwischen Luxusmode oder Billigkleidung aus China wählen können.

Selbst für einen, der Russisch spricht, ist das Land eine unglaubliche Herausforderung. Die Konsumenten sind misstrauisch, wollen nie im Voraus bezahlen. Ständig gibt es Ärger mit dem Zoll. Das Schwierigste aber ist der Versand. Auf die Post ist kein Verlass, die Gründer kaufen Lastwagen und fahren die Ware selbst aus. Hartmann, der normalerweise vier bis fünf Stunden täglich schläft, legt sich während der Gründungsphase von KupiVIP kaum noch ins Bett. Sein Kommentar dazu: „Wenn du durch die Hölle gehst, geh weiter.“

Optimistisch wie Arnie

Hartmann ist sechs Jahre alt, da zeigen ihm seine Eltern, wie man kämpft. Als die Mauer fällt und in der Sowjetunion Chaos ausbricht, flüchtet die Familie nach Deutschland, die Heimat ihrer Vorfahren. Sie landen in einem Auffanglager an der Nordsee. In der Turnhalle sind von Wand zu Wand Seile gespannt, daran Tücher, die den Raum in Zellen unterteilen. Vier Kinder haben die Hartmanns, 200 Mark Überbrückungsgeld gibt es pro Person. Der Vater war einst der jüngste Betriebsdirektor der Sowjetunion. Jetzt geht er putzen.

Die Familie zieht von einem Wohnheim ins nächste, teilweise teilen sie sich alle ein Zimmer. Es gibt Menschen mit einem ähnlichen Schicksal, die sagen, sie hätten nie eine Chance gehabt. Oskar Hartmann findet, dass es das Beste war, was ihm passieren konnte. „Mit so vielen anderen Kindern zusammenzuleben war perfekt.“

Er sieht in allem etwas Positives. Das ist eine Gabe. Hartmann hat sich entschieden, sie zu trainieren wie einen Muskel. Man müsse kontrollieren, was in das eigene Gehirn reinkomme, erklärt er. Das habe er sich bei Arnold Schwarzenegger abgeschaut. Als Jugendlicher bewunderte er den Österreicher. Hartmann machte damals selbst Bodybuilding und suchte nach Schwarzeneggers Erfolgsgeheimnis: „Er war sehr gut darin, den Fokus zu steuern, hat negative Einflussfaktoren auf sich einfach ausgeblendet. Ich schaue deswegen seit zehn Jahren keine Nachrichten mehr.“

Hartmann holt eine Biografie über Schwarzenegger aus dem Regal. Die Seiten sind abgenutzt, am Rand stehen Bleistiftnotizen. Hartmann nimmt sich keine Vorbilder – er seziert sie: Was macht diesen Menschen so herausragend? Was kann er besser als andere? Von dem Filmstar und späteren Politiker habe er sich nicht nur den Optimismus abgeschaut, sondern auch bedingungslose Selbstdisziplin. „Er hat mir schon sehr früh beigebracht, wie man sein Ziel immer vor Augen hat und sich dann zwingt, zu tun, was getan werden muss.“ Hartmann spricht über Schwarzenegger, als seien die beiden beste Freunde. „Ein Mensch muss nicht neben dir sitzen, um Einfluss auf dich zu haben“, sagt er. Erst Jahre später habe er ihn einmal getroffen. „Er war der positivste Mensch, dem ich je begegnet bin.“

Als er für den Realschulabschluss lernt, nehmen sich die Mitschüler vor, einen Ausbildungsplatz zu ergattern. Oskar Hartmann hat andere Pläne. Er will etwas Großes im Leben leisten. Sein Vater erzählt gern eine Anekdote über ihn. Als kleiner Junge sei Oskar zu ihm gekommen und habe gefragt: „Papa, warum bin ich nur so spät geboren? Alles in der Welt ist schon entdeckt.“ Richard Hartmann versicherte ihm, dass es noch viel zu entdecken gäbe. Aber Oskar, fünf Jahre alt, merkte sich eines: dass es wichtig ist, nicht zu spät dran zu sein.

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Erster BMW dank Bauch-weg-Gürteln

Sein erstes Geld als Unternehmer verdient er mit 18 Jahren. Er bringt sich selbst bei, wie man eine Website programmiert, und verkauft darüber Nahrungsergänzungsmittel für Bodybuilder. In Deutschland ist er einer der ersten Anbieter, bald verschickt er von seinem Kinderzimmer aus tausend Pakete im Monat. Wenig später, im Jahr 2002, wird er einer der ersten Profihändler bei Ebay: Damals beginnt die Onlineplattform gerade zu wachsen. Hartmann will ein Produkt, mit dem er richtig hohe Margen erzielen kann – und kommt auf die Idee, Artikel zu verkaufen, die die Kunden vom

Teleshopping kennen. Er muss sich weder um teure Werbung noch um die Produktentwicklung kümmern. Morgens lernt er, um sein Abitur nachzuholen, nachmittags schaut er, was auf QVC Neues verkauft wird, sucht im Internet die Kontaktdaten der Hersteller und importiert Messerblöcke, Briefkästen oder 20 000 Bauch-weg-Gürtel, die mit Stromschlägen Fett verbrennen sollen. Der Einkaufspreis liegt bei 1 Euro, im Fernsehen kosten sie 60, Hartmann verlangt im Internet 25 Euro. „As seen on TV“ wirbt er in seinem Ebay-Shop, „wie man es im Fernsehen gesehen hat“. Die Gürtel finanzieren Hartmanns erstes Auto. Einen BMW.

Manchmal bleibt er auch auf einer Ladung sitzen. Sobald bei Ebay Konkurrenz auftaucht, sinkt die Marge. Oskar löst das Problem pragmatisch: Zu Weihnachten bekommt die komplette Familie Briefkästen geschenkt.

Tempo ist alles im Onlinegeschäft. Diese Lektion bleibt hängen. „Man muss der Erste mit einer neuen Idee auf dem Markt sein“, sagt Hartmann. „Als Zweiter hast du schon verloren.“

Wer früh dran sein will, braucht immer wieder neue Ideen. Heute liegt ein Stapel Bücher auf seinem Schreibtisch, Ratgeber über Führung, Biografien, aber auch Philosophisches. Hartmann saugt Wissen förmlich auf. Auf seinem Computer hat er einen Ordner angelegt, den er „next actions“ genannt hat, nächste Aktionen. Immer wenn es ein Thema gibt, das ihm wichtig erscheint, recherchiert er, wer auf dem Gebiet der Beste ist. „Dann versuche ich in vier bis acht Stunden, alles darüber zu lernen.“

Wenn er einen Autor richtig gut findet, versucht er, ihn für Einzelunterricht zu buchen. Alexandre Havard etwa, einen Franzosen, der sich mit Werten und Führung beschäftigt. „Mit ihm rede ich darüber, wie man erfolgreich ist, aber ein guter Mensch bleibt“, sagt Hartmann. Der Gründer kann über Recht, Gnade, Glück oder Zufriedenheit in einer Geschwindigkeit sprechen, mit der andere Menschen nicht mal übers Wetter reden. Wenn er etwas nicht versteht, strengt er sich noch mehr an. Er habe ein schlechtes Gewissen, wenn er Freitagabend nicht komplett ausgepowert sei, erzählt Hartmann. „Oskar kann wahnsinnig hart arbeiten“, bestätigt Ratmir Timashev, einer der ersten Investoren von KupiVIP. Er sei aggressiv, klug, habe einen wahnsinnig guten Geschäftssinn.

Lektion im Krankenhaus

Leistung zählt viel, wenn nicht alles in der Familie Hartmann. Der Vater hat sich in der Firma, in der er zunächst putzte, bis zum Geschäftsführer hochgearbeitet. Später wird er Logistikchef bei Schenker Russland, dem Dienstleister der Deutschen Bahn.

Es wird gern gelacht und gefeiert in dieser Familie. Oberhaupt Richard Hartmann kann davon ungemein unterhaltsam erzählen. Er verrät, wie sich seine Frau auf seinem Geburtstag über ihn lustig machte. Trotzdem ist bereits nach den ersten Sätzen glasklar: Wer in den Augen dieses Vaters etwas gelten will, muss sich mächtig strecken. Oskar sei nicht sein stärkstes Kind, erzählt er. Der jüngste, Arthur, habe wohl einen noch stärkeren Charakter.

Mehrfach betont Richard Hartmann, seine Söhne und die Tochter hätten sich alles selbst aufgebaut. „Es gibt so viele starke Väter mit einem Schrott von Kindern“, sagt er. „Die stecken ihren Nachwuchs in goldene Käfige, und dann sind die Kinder hilflos.“ Als Oskar ein soziales Jahr in Russland absolvieren will, schickt ihn der Vater auf die Leukämiestation eines Kinderkrankenhauses. „Meine Ärztin meinte, das sei zu hart für einen jungen Menschen“, sagt Richard Hartmann. „Aber er sollte sehen, dass das Leben nicht nur leicht ist.“

Oskar Hartmann sieht damals Kinder leiden, manchmal sterben. Nicht nur, weil sie krank sind, sondern auch, weil es an allem fehlt. Manchmal ruft er seinen Vater an, fragt, ob er nicht etwas für die Klinik kaufen könne. Er bewundert den Chefarzt, der mit knappen Mitteln den Laden irgendwie am Laufen hält. Im Grunde, überlegt Hartmann, muss der gar kein guter Arzt sein, sondern ein guter Betriebswirt. Sein Fazit: „Es ist egal, was du studierst. Wenn du in deinem Fach erfolgreich bist, musst du am Ende immer Betriebswirtschaft machen. Geld ist immer der entscheidende Faktor.“ Deshalb entscheidet er sich selbst für ein BWL-Studium an einer Uni, die er nach langer Abwägung für die beste hält, die private WHU in Vallendar.

Es ist eine dieser Entscheidungen, die zeigen, wie strategisch Hartmann vorgeht. Er hat den Kopf voller Ideen – zugleich gelingt es ihm, Prioritäten zu setzen. Er kann sich extrem fokussieren. Wenn er mit jemandem spricht, scheint in diesem Augenblick nichts wichtiger zu sein. „Oskar macht alles zu hundert Prozent“, sagt sein Freund Damian Doberstein. Sogar feiern. Fast alle Bekannten berichten, er könne sehr gut mit Menschen umgehen. Hartmann selbst hat seine Handlungsmaxime vor wenigen Tagen auf einer Veranstaltung so ausgedrückt: „Business ist wie Sex. Damit du gewinnst, muss ein anderer auch gewinnen.“

Der 32-Jährige sei niemals harsch oder autokratisch, sondern ein guter Mensch mit dem Ziel, exzellent zu werden, sagt Alexandre Havard, der Autor, den Hartmann einst anrief und der inzwischen sein Mentor ist. Der Franzose vertritt die These: „Wenn man erfolgreich ist, und die Mitarbeiter hassen ihre Arbeit, ist man ein Loser.“ Hartmann will kein Loser sein. Er will, dass seine Angestellten ihn schätzen.

Während andere Gründer in dieser Lebensphase nur an ihren Durchbruch denken, engagiert sich Hartmann seit zwei Jahren als Stifter. Er recherchierte, wie immer. Bill Gates, Warren Buffett, Richard Branson, was machen die mit ihrem Geld? „Im Prinzip nur zwei Dinge“, sagt er. „Sie investieren in Unternehmertum oder in Bildung.“ Deshalb entschloss er sich, in Startups zu investieren und Studenten zu fördern. Er selbst habe von Stipendien profitiert, sein Förderwerk ist heute das größte Russlands.

KupiVIP hat über Jahre kein Geld verdient. Die Investoren nahmen es nach außen hin gelassen. Amazon habe auch über zehn Jahre gebraucht, um profitabel zu werden. Zunächst sei es nur um Marktanteile gegangen, sagt Ratmir Timashev, Partner des Venture Capital Fonds ABRT. „Oskar hat den Mumm, über Jahre Geld zu verbrennen. Das ist wichtig.“ Der Umsatz ist zuletzt nicht mehr gewachsen, aber durch Kostenoptimierung und Konsolidierung hat KupiVIP nach eigenen Angaben den Breakeven geschafft.

Es ist Zeit für neue Projekte. Vor wenigen Wochen hat Hartmann die operative Geschäftsführung an einen Mitarbeiter übertragen. Er zieht sich auf einen Direktorenposten zurück – und hat bereits das nächste Ziel vor Augen. Ein Gebrauchtwagenhandel mit Webshop und Filialen. Ziel für 2020: 700 Läden.

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Der Mann, der so gern Erster ist, kommt eineinhalb Stunden zu spät. Das ist nicht unverschämt unpünktlich, zumindest nicht in Moskau. Durchschnittlich steht ein Autofahrer hier 127 Stunden pro Jahr im Stau. "Sorry", sagt Oskar Hartmann und lächelt. Damit ist die Sache abgehakt. Er zieht die Jacke aus, gibt sie seiner Assistentin, nimmt eine Flasche Wasser und fragt: "Für wen schreiben Sie? Wer sind Sie? Warum sind Sie hier?" Nach zwei Minuten Kennenlernen ist klar: Hier wird keine Zeit vertrödelt. Oskar Hartmann legt ein Tempo vor, das für durchschnittlich begabte und aktive Menschen kaum nachvollziehbar ist. Er ist 32 Jahre alt und hat mehr als 20 Firmen gegründet, darunter ein Dating-Portal, einen Shopping-Sender, eine Jobbörse, eine Hotelbuchungsseite. Während des Studiums legte er doppelt so viele Prüfungen ab, wie verlangt wurden. Er wollte so viel wie möglich mitnehmen und schrieb sich für fast alle Kurse ein. Unfähig, Langeweile zu ertragen Die Skulpturen in seinem Büro hat er selbst gemeißelt, die düsteren Gemälde eigenhändig gemalt. Ein Freund erzählt, dass er unfähig sei, Langeweile zu ertragen. Wenn Hartmann mit seinen beiden Kindern auf den Spielplatz gehe, dann nie zweimal auf denselben. Der Unternehmer setzt sich hinter seinen großen Schreibtisch. In den nächsten Stunden wird er seine Geschichte erzählen: Ein Kind aus einer Aussiedlerfamilie verschlägt es von Kasachstan nach Deutschland. Der Junge wächst im Flüchtlingsheim auf, lässt sich aber nicht unterkriegen und arbeitet sich mit brillantem Geschäftssinn und Einsatz zum Millionär hoch. Eine Aufsteiger-Story, wie gemacht für Hollywood. Sogar Arnold Schwarzenegger kommt darin vor. An der Wand im Büro hängt eingerahmt seine erste Gewerbeanmeldung. "Verkauf von Nahrungsergänzungsmitteln" steht dort in Schreibmaschinenschrift. Unten auf das Dokument hat ein Beamter der Stadt Neunburg am 14.03.2002 einen Stempel gedrückt. Hartmann war damals 19 Jahre alt und hatte einen Angestellten. Sich selbst. Der geplante Erfolg Heute gibt er auf seinem LinkedIn-Profil als Hobby „Bewerbungsgespräche“ an. Viele nennen ihn den derzeit erfolgreichsten und aktivsten Gründer Russlands. Seine größte Firma, der Online-Shoppingclub KupiVIP, hat rund 100 Millionen Euro Venture Capital einge­sammelt und ist in den vergangenen Jahren ­rasend schnell gewachsen. Das Start-up verkauft Kleider zu Sonderkonditionen an registrierte Mitglieder, nach dem Vorbild des französischen Portals Vente Privee. Im siebten Jahr zählt KupiVIP 1000 Mitarbeiter. Der Umsatz lag 2013 bei rund 200 Millionen Euro. Zwei weitere Firmen hat Hartmann bereits verkauft. Was er für seinen Homeshopping-Sender kassierte, ist nicht bekannt. Der Online-Schuhhandel Sapato ging an Ozon.ru, das russische Amazon. Kaufpreis: 70 Millionen Euro. Hartmann gehörten 14 Prozent der Firma. Was dieser Mann anfasst, scheint zu gelingen. Es klingt alles so leicht, wenn er erzählt. Hartmann lacht viel, seine Augen haben etwas Spitzbübisches. Sein Bauch wölbt sich ein wenig. Er isst gern große Portionen. Doch wer ihn näher kennenlernt, versteht: Sein Erfolg hat nichts mit Glück zu tun, nichts mit Fügung oder Zufall. Hartmann hat weder geerbt, noch ersann er eine geniale Idee, die ihn über Nacht zum Millionär machte. Er hat seinen Aufstieg vielmehr konsequent geplant. Freunde und Geschäftspartner sagen, er schufte unglaublich hart. Hartmann ist ein Mensch, der Ziele in Teilaufgaben zerlegt, genau analysiert, was er tun muss, um voranzukommen. Er hat Geschäftsfelder durchleuchtet und ganz nüchtern die ausgewählt, die ihm die Chance boten, einen Markt als Erster zu erobern. Das hat ihn auch Richtung Osten getrieben. Hartmann besitzt zwei Pässe, fühlt sich jedoch als Deutscher. Am Ende seines BWL-Studiums nimmt er einen Job in Moskau an, verdient als Juniorberater 8000 Euro im Monat. Das üppige Gehalt ist aber nicht entscheidend, auch nicht, dass seine Frau Russin ist. Was Hartmann beinahe magnetisch anzieht, ist die Goldgräberstimmung. 2007 ist Russland ein Reich der Möglichkeiten. Die Wirtschaft boomt. Der Onlinemarkt ist kaum entwickelt. Man kann alles gewinnen und alles verlieren. Mit seinem Studienfreund Damian Doberstein durchsucht er die russische Wirtschaft nach Marktlücken. „Bäckereien und solche Ideen haben wir gleich weggelassen“, sagt Hartmann. Sie schauen sich nur Milliardenfirmen an, die sie nachbauen können. So kommen sie auf die Idee mit dem Shoppingclub. Das Potenzial: 140 Millionen Kunden, die bis dahin eigentlich nur zwischen Luxusmode oder Billigkleidung aus China wählen können. Selbst für einen, der Russisch spricht, ist das Land eine unglaubliche Herausforderung. Die Konsumenten sind misstrauisch, wollen nie im Voraus bezahlen. Ständig gibt es Ärger mit dem Zoll. Das Schwierigste aber ist der Versand. Auf die Post ist kein Verlass, die Gründer kaufen Lastwagen und fahren die Ware selbst aus. Hartmann, der normalerweise vier bis fünf Stunden täglich schläft, legt sich während der Gründungsphase von KupiVIP kaum noch ins Bett. Sein Kommentar dazu: „Wenn du durch die Hölle gehst, geh weiter.“ Optimistisch wie Arnie Hartmann ist sechs Jahre alt, da zeigen ihm seine Eltern, wie man kämpft. Als die Mauer fällt und in der Sowjetunion Chaos ausbricht, flüchtet die Familie nach Deutschland, die Heimat ihrer Vorfahren. Sie landen in einem Auffanglager an der Nordsee. In der Turnhalle sind von Wand zu Wand Seile gespannt, daran Tücher, die den Raum in Zellen unterteilen. Vier Kinder haben die Hartmanns, 200 Mark Überbrückungsgeld gibt es pro Person. Der Vater war einst der jüngste Betriebsdirektor der Sowjetunion. Jetzt geht er putzen. Die Familie zieht von einem Wohnheim ins nächste, teilweise teilen sie sich alle ein Zimmer. Es gibt Menschen mit einem ähnlichen Schicksal, die sagen, sie hätten nie eine Chance gehabt. Oskar Hartmann findet, dass es das Beste war, was ihm passieren konnte. „Mit so vielen anderen Kindern zusammenzuleben war perfekt.“ Er sieht in allem etwas Positives. Das ist eine Gabe. Hartmann hat sich entschieden, sie zu trainieren wie einen Muskel. Man müsse kontrollieren, was in das eigene Gehirn reinkomme, erklärt er. Das habe er sich bei Arnold Schwarzenegger abgeschaut. Als Jugendlicher bewunderte er den Österreicher. Hartmann machte damals selbst Bodybuilding und suchte nach Schwarzeneggers Erfolgsgeheimnis: „Er war sehr gut darin, den Fokus zu steuern, hat negative Einflussfaktoren auf sich einfach ausgeblendet. Ich schaue deswegen seit zehn Jahren keine Nachrichten mehr.“ Hartmann holt eine Biografie über Schwarzenegger aus dem Regal. Die Seiten sind abgenutzt, am Rand stehen Bleistiftnotizen. Hartmann nimmt sich keine Vorbilder – er seziert sie: Was macht diesen Menschen so herausragend? Was kann er besser als andere? Von dem Filmstar und späteren Politiker habe er sich nicht nur den Optimismus abgeschaut, sondern auch bedingungslose Selbstdisziplin. „Er hat mir schon sehr früh beigebracht, wie man sein Ziel immer vor Augen hat und sich dann zwingt, zu tun, was getan werden muss.“ Hartmann spricht über Schwarzenegger, als seien die beiden beste Freunde. „Ein Mensch muss nicht neben dir sitzen, um Einfluss auf dich zu haben“, sagt er. Erst Jahre später habe er ihn einmal getroffen. „Er war der positivste Mensch, dem ich je begegnet bin.“ Als er für den Realschulabschluss lernt, nehmen sich die Mitschüler vor, einen Ausbildungsplatz zu ergattern. Oskar Hartmann hat andere Pläne. Er will etwas Großes im Leben leisten. Sein Vater erzählt gern eine Anekdote über ihn. Als kleiner Junge sei Oskar zu ihm gekommen und habe gefragt: „Papa, warum bin ich nur so spät geboren? Alles in der Welt ist schon entdeckt.“ Richard Hartmann versicherte ihm, dass es noch viel zu entdecken gäbe. Aber Oskar, fünf Jahre alt, merkte sich eines: dass es wichtig ist, nicht zu spät dran zu sein. Erster BMW dank Bauch-weg-Gürteln Sein erstes Geld als Unternehmer verdient er mit 18 Jahren. Er bringt sich selbst bei, wie man eine Website programmiert, und verkauft darüber Nahrungsergänzungsmittel für Bodybuilder. In Deutschland ist er einer der ersten Anbieter, bald verschickt er von seinem Kinderzimmer aus tausend Pakete im Monat. Wenig später, im Jahr 2002, wird er einer der ersten Profihändler bei Ebay: Damals beginnt die Onlineplattform gerade zu wachsen. Hartmann will ein Produkt, mit dem er richtig hohe Margen erzielen kann – und kommt auf die Idee, Artikel zu verkaufen, die die Kunden vom Teleshopping kennen. Er muss sich weder um teure Werbung noch um die Produktentwicklung kümmern. Morgens lernt er, um sein Abitur nachzuholen, nachmittags schaut er, was auf QVC Neues verkauft wird, sucht im Internet die Kontaktdaten der Hersteller und importiert Messerblöcke, Briefkästen oder 20 000 Bauch-weg-Gürtel, die mit Stromschlägen Fett verbrennen sollen. Der Einkaufspreis liegt bei 1 Euro, im Fernsehen kosten sie 60, Hartmann verlangt im Internet 25 Euro. „As seen on TV“ wirbt er in seinem Ebay-Shop, „wie man es im Fernsehen gesehen hat“. Die Gürtel finanzieren Hartmanns erstes Auto. Einen BMW. Manchmal bleibt er auch auf einer Ladung sitzen. Sobald bei Ebay Konkurrenz auftaucht, sinkt die Marge. Oskar löst das Problem pragmatisch: Zu Weihnachten bekommt die komplette Familie Briefkästen geschenkt. Tempo ist alles im Onlinegeschäft. Diese Lektion bleibt hängen. „Man muss der Erste mit einer neuen Idee auf dem Markt sein“, sagt Hartmann. „Als Zweiter hast du schon verloren." Wer früh dran sein will, braucht immer wieder neue Ideen. Heute liegt ein Stapel Bücher auf seinem Schreibtisch, Ratgeber über Führung, Biografien, aber auch Philosophisches. Hartmann saugt Wissen förmlich auf. Auf seinem Computer hat er einen Ordner angelegt, den er „next actions“ genannt hat, nächste Aktionen. Immer wenn es ein Thema gibt, das ihm wichtig erscheint, recherchiert er, wer auf dem Gebiet der Beste ist. „Dann versuche ich in vier bis acht Stunden, alles darüber zu lernen.“ Wenn er einen Autor richtig gut findet, versucht er, ihn für Einzelunterricht zu buchen. Alexandre Havard etwa, einen Franzosen, der sich mit Werten und Führung beschäftigt. „Mit ihm rede ich darüber, wie man erfolgreich ist, aber ein guter Mensch bleibt“, sagt Hartmann. Der Gründer kann über Recht, Gnade, Glück oder Zufriedenheit in einer Geschwindigkeit sprechen, mit der andere Menschen nicht mal übers Wetter reden. Wenn er etwas nicht versteht, strengt er sich noch mehr an. Er habe ein schlechtes Gewissen, wenn er Freitagabend nicht komplett ausgepowert sei, erzählt Hartmann. „Oskar kann wahnsinnig hart arbeiten“, bestätigt Ratmir Timashev, einer der ersten Investoren von KupiVIP. Er sei aggressiv, klug, habe einen wahnsinnig guten Geschäftssinn. Lektion im Krankenhaus Leistung zählt viel, wenn nicht alles in der Familie Hartmann. Der Vater hat sich in der Firma, in der er zunächst putzte, bis zum Geschäftsführer hochgearbeitet. Später wird er Logistikchef bei Schenker Russland, dem Dienstleister der Deutschen Bahn. Es wird gern gelacht und gefeiert in dieser Familie. Oberhaupt Richard Hartmann kann davon ungemein unterhaltsam erzählen. Er verrät, wie sich seine Frau auf seinem Geburtstag über ihn lustig machte. Trotzdem ist bereits nach den ersten Sätzen glasklar: Wer in den Augen dieses Vaters etwas gelten will, muss sich mächtig strecken. Oskar sei nicht sein stärkstes Kind, erzählt er. Der jüngste, Arthur, habe wohl einen noch stärkeren Charakter. 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Die Investoren nahmen es nach außen hin gelassen. Amazon habe auch über zehn Jahre gebraucht, um profitabel zu werden. Zunächst sei es nur um Marktanteile gegangen, sagt Ratmir Timashev, Partner des Venture Capital Fonds ABRT. „Oskar hat den Mumm, über Jahre Geld zu verbrennen. Das ist wichtig.“ Der Umsatz ist zuletzt nicht mehr gewachsen, aber durch Kostenoptimierung und Konsolidierung hat KupiVIP nach eigenen Angaben den Breakeven geschafft. Es ist Zeit für neue Projekte. Vor wenigen Wochen hat Hartmann die operative Geschäftsführung an einen Mitarbeiter übertragen. Er zieht sich auf einen Direktorenposten zurück – und hat bereits das nächste Ziel vor Augen. Ein Gebrauchtwagenhandel mit Webshop und Filialen. Ziel für 2020: 700 Läden.
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