Märklin-Insolvenz
Wie dem Modellbahnbauer die Wende gelang

Vor wenigen Jahren musste der Modellbahnbauer Märklin Insolvenz anmelden. Heute sprudeln in Göppingen Gewinne. Gerettet hat die Firma der Insolvenzverwalter.

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Weichenstellung: Märklin hat den Turnaround geschafft
Weichenstellung: Märklin hat den Turnaround geschafft
© Miniaturwunderland

Der aufregende Blick über halb Stutt­gart interessiert Michael Pluta ge­rade nicht. Der 62-­Jährige rückt an sein Bürofenster im zehnten Stock und deutet mit dem Finger auf eine Glasfas­sade in der Nachbarschaft. „Da unten ist Märk­lin.“ Dort zieht sich die Löffelstraße vom Stadtteil Degerloch in die Innenstadt, in der Hausnummer 22 sitzt ein Handel für Modell­eisenbahnen: Loks, Waggons, Schienen, Wei­chen, alles im Maßstab 1:87. Insolvenzverwalter Pluta lächelt. Der Shop vor seinem Fenster zeigt ihm: Irgendwas ist gut gelaufen in den vergangenen vier Jahren.

Im Jahr 2009 legt Märklin eine der spektaku­lärsten Firmenpleiten der jüngeren deutschen Wirtschaftsgeschichte hin. Vielbeachtet nicht wegen der Größe, das Unternehmen erwirt­schaftet einen Umsatz von wenig mehr als 100 Millionen Euro. Märklin steht seit mehr als 150 Jahre für Sammlerträume, für Produkte, mit denen schon die Großväter spielten – aber immer weniger Kinder. Als die Göppinger In­solvenz anmelden, zerbricht ein Stück heile Welt in Tausenden Hobbykellern; ein Mythos steht vor dem Aus.

Im März 2012 findet die Geschichte ein glückliches Ende, zumindest vorerst. Die Spielzeugfirma Simba Dickie übernimmt Märk­lin, will mit neuen Produkten die Kinderzimmer erobern. Schon der Kaufpreis im mittleren bis höheren zweistelligen Millionenbereich zeigt, wie viel Potenzial die Fürther im ehemaligen Pleitekandidaten vermuten. Viele glauben: Die Insolvenz war ein Glücksfall. Und gerettet hät­ten Märklin nicht Unternehmer oder Manager – sondern der Insolvenzverwalter.

Viele glauben: Märklins Insolvenz war ein Glücksfall

Am 3. Februar 2009 sitzt Michael Pluta gegen 16 Uhr an seinem Schreibtisch, als der Anruf vom Gericht Göppingen kommt. Märklin ist zahlungsunfähig, Pluta soll sich bereithal­ten. Der großgewachsene Schwabe ist ein Star der Branche, seine Kanzlei zählt 31 Standorte in Deutschland. Märklin hat damals 1500 Mit­arbeiter; steht eine Firma dieser Größe vor dem Abgrund, fällt der Name Pluta.

Der Verwalter ist bekannt als ein Mann mit Sachverstand – und „ausgeprägtem Sendungsbewusstsein“, wie ein Kollege sagt. Pluta kann dem kaum widersprechen, wo er sogar im Internet einen Videokanal betreibt, „Pluta Insolvenz-TV“. Bei Fällen wie Märklin geht es nicht nur um Geld und Arbeitsplätze, sondern auch um Politik und Eitelkeiten. Da schadet Selbstvertrauen nicht. „Es darf halt nicht schiefgehen“, sagt Pluta. „Wenn es schiefgeht, sind Sie der Oberdepp, wenn es klappt, der Held. Das ist die Bandbreite.“

Bei Märklin trifft Pluta auf ein Unternehmen in Schockstarre. Seit Jahren gehen die Umsätze zurück, von rund 170 Millionen Euro im Jahr 2002 auf 128 Millionen Euro 2008 bei einem Verlust von zuletzt 20 Millionen Euro. Lange hatte es Märklin versäumt, sich um neue Kunden zu bemühen. Stattdessen wurde das Sortiment ausgewalzt, bis der Katalog 552 Seiten umfasste. Das Unternehmen fertigte damals für Sammler, Männer über 40; Märklin droht die Kundschaft auszusterben.

Den Bankern platzt der Kragen

Seit 2007 gehörte Märklin dem Finanzinvestor Kingsbridge und der US-Bank Goldman Sachs. Ständig wechseln die Geschäftsführer. Mehrfach musste Kingsbridge Geld nachschießen, um den Betrieb am Laufen zu halten.

Mittendrin die Hausbanken von Märklin, die Landesbank LBBW und die Kreissparkasse Göppingen, die Kredite über zusammen 50 Millionen Euro gegeben haben und die 2009 genug haben von dem Schauspiel. Draußen tobt die Finanzkrise, den Geldhäusern ist nicht nach Experimenten. Als Kreditlinien auslaufen, wollen die Banken sie um 40 Prozent reduzieren – Märklins Finanzierung bricht zusammen. Wenig später sitzt Michael Pluta vor einer Gläubigerliste: 60 Millionen fordern ein Bankenpool aus LBBW, der Sparkasse und Goldman Sachs. Weitere 30 Millionen wollen 1350 Einzelgläubiger haben. Allen ist gemein: Sie wollen raus aus Märklin.

Bei einem Insolvenzverfahren hat der Verwalter eine einzige Aufgabe: Er muss dafür sorgen, dass die Gläubiger einen möglichst großen Teil ihres Geldes wiedersehen. Meist werden die wertvollen Teile der Firma verkauft. Ob als laufender Betrieb oder in Stücke gehackt, ist nebensächlich – bleiben die Gläubiger hart, können sie sich für die Variante entscheiden, die einen höheren Kaufpreis bringt. In beiden Fällen übernimmt der Käufer nur die wertvollen Teile, die Schulden werden durch den Kaufpreis bezahlt. Das ganze Verfahren nennt man übertragende Sanierung.

Die Erkenntnis verfestigt sich: Märklin könnte profitabel sein

Nach der ersten Woche bei Märklin gibt Pluta bekannt, dass es mehrere Dutzend Interessenten gebe. Doch je tiefer Plutas Männer in der Buchhaltung wühlen, desto fester wird ihre Erkenntnis: Märklin könnte profitabel sein. Wirft Pluta die externen Berater raus, die Kingsbridge und Goldman Sachs engagiert hatten, spart er 10 Millionen Euro. Im Marketing-Budget von 15 Millionen kann gekürzt werden. Liquide Mittel kann er im Lager gewinnen, wo sich Waren im Wert von 40 Millionen Euro türmen. Das Werk in Nürnberg hält Pluta für überflüssig – und 400 Mitarbeiter für entbehrlich.

Märklin Eisenbahn

Von Erwachsenen geliebt, von Kindern bis vor Kurzem unbeachtet – eine Miniatureisenbahn von Märklin. ©Märklin© Märklin

Der Verwalter glaubt: Märklin ist mehr wert als das höchste vorliegende Kaufgebot. Er will die Interessenten nicht. Auch Pluta selbst profitiert von einem hohen Verkaufspreis – je mehr Geld er für die Gläubiger herausholt, desto höher ist seine Vergütung.

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Die „Braut“ Märklin wird aufgehübscht

Das Problem: Die Kandidaten, die Pluta vorschweben, wollen Märklin nicht. Sein Ideal ist ein deutsches Unternehmen, das den Betrieb fortführt. Vom ersten Tag an steht auch Simba Dickie auf der Liste. Doch deren Gründer Michael Sieber winkt ab. „Eine Lok für mehrere Hundert Euro ist kein Spielzeug für Kinder“, befindet man bei Simba Dickie. Zum anderen will Sieber nicht viele Millionen für eine angeschlagene Firma ausgeben.

Warum hat er sich nicht einfach jemand anderen gesucht? Pluta grinst: „Wenn Sie von einer Frau einen Korb kriegen, geben Sie dann auf?“ Er will die Braut aufhübschen, wie Insolvenzverwalter sagen, solide Zahlen vorweisen und neue Produkte für Kinder: „Dass Kunden wegsterben, akzeptiere ich bei einer Zigarettenmarke, aber nicht bei Spielzeug.“ Der Insolvenzverwalter denkt wie ein Unternehmer. Für die Umsetzung des Plans holt er sich zwei Geschäftsführer, erst Kurt Seitzinger, dann Stefan Löbich. Plutas Job ist es, ihnen den Rücken freizuhalten.

Pluta kämpft mit Märklins Gläubigern

Denn die Gläubiger sind wenig begeistert. „Herr Pluta hat selbst nicht immer eine ganz klare Position gehabt“, sagt Hariolf Teufel, Vorstandssprecher der Sparkasse Göppingen. Erst habe er einen raschen Verkauf in Aussicht gestellt, dann Märk­lin plötzlich doch sanieren wollen. Erhebliche Differenzen habe es über den Zeitpunkt des Verkaufs gegeben. „Wir haben schon gescherzt: Ihm gefallen die Eisenbahnen so gut, er will sie nicht mehr hergeben.“

Immer wieder haben die Banken böse Überraschungen erlebt. „Die haben uns mit der Historie überhaupt nichts geglaubt“, sagt Pluta, „die haben gesagt: Der spielt vielleicht mit unserem Geld.“ Unter großer Skepsis darf Pluta zunächst seine Sparpläne bei Märk­lin umsetzen. Weitere Kredite gibt es keine. Pluta legt los: Berater, Marketing, Lager, Mitarbeiter. Anfang 2010 präsentiert er seinen ersten Jahresabschluss. Umsatz: 111 Millionen, Gewinn vor Zinsen und Steuern: 12,4 Millionen Euro.

Durch Gewinn und reduziertes Umlaufvermögen hat Märklin 2010 knapp 40 Millionen Euro auf dem Konto. Pluta nutzt das Geld, um sich Zeit zu kaufen. Er schlägt einen Insolvenzplan vor: 33 Millionen Euro sollen sofort an die Gläubiger gehen, 27 Millionen davon an die Banken LBBW, Sparkasse und Goldman.

Nach vier Jahren endet für Pluta das Abenteuer Märklin

Den Kniff seines Plans würden Finanzexperten als eine Art Debt-Equity-Swap bezeichnen: Bis spätestens 2014 darf weitersaniert, dann soll verkauft und aus dem Kaufpreis die übrigen Schulden beglichen werden. Faktisch werden so Forderungen zu Anteilen an Märklin. Alles ist eine Wette: Die Gläubiger gewinnen, wenn Pluta recht behält und er das Unternehmen nach ein paar Jahren teurer verkaufen kann; sonst verbrennen sie weiter Kapital. Ob die Gläubiger den Plan annehmen, lässt sich auf die Frage reduzieren: Vertrauen sie Pluta? Am 21. Dezember 2010 nehmen sie an – mit 99,8 Prozent Zustimmung.

Im Hintergrund basteln die Märklin-Geschäftsführer am neuen Sortiment, wollen kindgerechte Startpakete. Ende 2011, pünktlich zu Weihnachten, hält Geschäftsführer Löbich einen Karton in der Hand mit einer robusten ICE-Lok und ein paar Schienen, die Untermarke heißt „My World“. Kosten: 49,90 Euro. Maßstab: irgendeiner, sicher nicht 1:87. Mitarbeiter, die schon lange bei Märklin sind, halten das für einen Skandal. Der Handel sieht das anders und nimmt 20 000 Pakete ab.

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Insolvenzverwalter Michael Pluta (l.) und Michael Sieber, ©Märklin

Als Märklin im Jahr 2012 zum dritten Mal einen Jahresgewinn präsentiert, meldet sich Pluta erneut bei Simba Dickie. Im August reisen Michael Sieber und sein Sohn Florian nach Ungarn, um das Werk in Györ zu besuchen – und sind begeistert. „Die Maschinen waren modern, der Grad der Automatisierung hoch, und die Mitarbeiter motiviert“, sagt Florian Sieber, heute einer von drei Geschäftsführern bei Märklin. Kurz darauf kommen die Siebers nach Göppingen. „Da wusste ich: Die beschäftigen sich mit Märklin“, sagt Verwalter Pluta.

Im November 2012 gibt Simba Dickie eine Absichtserklärung ab: Die Fürther wollen kaufen. Pluta trommelt die Gläubiger zusammen: Er habe einen Käufer. Das Unternehmen Märklin bleibt bestehen. Für die Mitarbeiter in Göppingen gibt es eine Jobgarantie bis 2019. Und: Die Forderungen der Gläubiger können komplett erfüllt werden. „Im Nachhinein muss man sagen: Herr Pluta hat es richtig gemacht“, sagt Hariolf Teufel von der Sparkasse.

In Göppingen brüten dieser Tage die Simba-Dickie-Leute, wie sie die Linie My World im Ausland vermarkten; für Insolvenzverwalter Pluta endet das Abenteuer Märklin nach vier Jahren. Bekommt man da keinen Phantomschmerz? Pluta ist irritiert. „Überhaupt nicht, wieso das denn?“ Es sind ja schon schöne Produkte, die Loks, die Waggons, die Schienen, die Weichen. „Wer das schön findet, kauft das. Das ist doch was anderes, als gleich die ganze Firma am Hals zu haben.“

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Als die Göppinger In­solvenz anmelden, zerbricht ein Stück heile Welt in Tausenden Hobbykellern; ein Mythos steht vor dem Aus. Im März 2012 findet die Geschichte ein glückliches Ende, zumindest vorerst. Die Spielzeugfirma Simba Dickie übernimmt Märk­lin, will mit neuen Produkten die Kinderzimmer erobern. Schon der Kaufpreis im mittleren bis höheren zweistelligen Millionenbereich zeigt, wie viel Potenzial die Fürther im ehemaligen Pleitekandidaten vermuten. Viele glauben: Die Insolvenz war ein Glücksfall. Und gerettet hät­ten Märklin nicht Unternehmer oder Manager – sondern der Insolvenzverwalter. Viele glauben: Märklins Insolvenz war ein Glücksfall Am 3. Februar 2009 sitzt Michael Pluta gegen 16 Uhr an seinem Schreibtisch, als der Anruf vom Gericht Göppingen kommt. Märklin ist zahlungsunfähig, Pluta soll sich bereithal­ten. Der großgewachsene Schwabe ist ein Star der Branche, seine Kanzlei zählt 31 Standorte in Deutschland. Märklin hat damals 1500 Mit­arbeiter; steht eine Firma dieser Größe vor dem Abgrund, fällt der Name Pluta. Der Verwalter ist bekannt als ein Mann mit Sachverstand – und „ausgeprägtem Sendungsbewusstsein“, wie ein Kollege sagt. Pluta kann dem kaum widersprechen, wo er sogar im Internet einen Videokanal betreibt, „Pluta Insolvenz-TV“. Bei Fällen wie Märklin geht es nicht nur um Geld und Arbeitsplätze, sondern auch um Politik und Eitelkeiten. Da schadet Selbstvertrauen nicht. „Es darf halt nicht schiefgehen“, sagt Pluta. „Wenn es schiefgeht, sind Sie der Oberdepp, wenn es klappt, der Held. Das ist die Bandbreite.“ Bei Märklin trifft Pluta auf ein Unternehmen in Schockstarre. Seit Jahren gehen die Umsätze zurück, von rund 170 Millionen Euro im Jahr 2002 auf 128 Millionen Euro 2008 bei einem Verlust von zuletzt 20 Millionen Euro. Lange hatte es Märklin versäumt, sich um neue Kunden zu bemühen. Stattdessen wurde das Sortiment ausgewalzt, bis der Katalog 552 Seiten umfasste. Das Unternehmen fertigte damals für Sammler, Männer über 40; Märklin droht die Kundschaft auszusterben. Den Bankern platzt der Kragen Seit 2007 gehörte Märklin dem Finanzinvestor Kingsbridge und der US-Bank Goldman Sachs. Ständig wechseln die Geschäftsführer. Mehrfach musste Kingsbridge Geld nachschießen, um den Betrieb am Laufen zu halten. Mittendrin die Hausbanken von Märklin, die Landesbank LBBW und die Kreissparkasse Göppingen, die Kredite über zusammen 50 Millionen Euro gegeben haben und die 2009 genug haben von dem Schauspiel. Draußen tobt die Finanzkrise, den Geldhäusern ist nicht nach Experimenten. Als Kreditlinien auslaufen, wollen die Banken sie um 40 Prozent reduzieren – Märklins Finanzierung bricht zusammen. Wenig später sitzt Michael Pluta vor einer Gläubigerliste: 60 Millionen fordern ein Bankenpool aus LBBW, der Sparkasse und Goldman Sachs. Weitere 30 Millionen wollen 1350 Einzelgläubiger haben. Allen ist gemein: Sie wollen raus aus Märklin. Bei einem Insolvenzverfahren hat der Verwalter eine einzige Aufgabe: Er muss dafür sorgen, dass die Gläubiger einen möglichst großen Teil ihres Geldes wiedersehen. Meist werden die wertvollen Teile der Firma verkauft. Ob als laufender Betrieb oder in Stücke gehackt, ist nebensächlich – bleiben die Gläubiger hart, können sie sich für die Variante entscheiden, die einen höheren Kaufpreis bringt. In beiden Fällen übernimmt der Käufer nur die wertvollen Teile, die Schulden werden durch den Kaufpreis bezahlt. Das ganze Verfahren nennt man übertragende Sanierung. Die Erkenntnis verfestigt sich: Märklin könnte profitabel sein Nach der ersten Woche bei Märklin gibt Pluta bekannt, dass es mehrere Dutzend Interessenten gebe. Doch je tiefer Plutas Männer in der Buchhaltung wühlen, desto fester wird ihre Erkenntnis: Märklin könnte profitabel sein. Wirft Pluta die externen Berater raus, die Kingsbridge und Goldman Sachs engagiert hatten, spart er 10 Millionen Euro. Im Marketing-Budget von 15 Millionen kann gekürzt werden. Liquide Mittel kann er im Lager gewinnen, wo sich Waren im Wert von 40 Millionen Euro türmen. Das Werk in Nürnberg hält Pluta für überflüssig – und 400 Mitarbeiter für entbehrlich. [caption id="attachment_2007474" align="alignnone" width="620"] Von Erwachsenen geliebt, von Kindern bis vor Kurzem unbeachtet - eine Miniatureisenbahn von Märklin. ©Märklin[/caption] Der Verwalter glaubt: Märklin ist mehr wert als das höchste vorliegende Kaufgebot. Er will die Interessenten nicht. Auch Pluta selbst profitiert von einem hohen Verkaufspreis – je mehr Geld er für die Gläubiger herausholt, desto höher ist seine Vergütung. Die "Braut" Märklin wird aufgehübscht Das Problem: Die Kandidaten, die Pluta vorschweben, wollen Märklin nicht. Sein Ideal ist ein deutsches Unternehmen, das den Betrieb fortführt. Vom ersten Tag an steht auch Simba Dickie auf der Liste. Doch deren Gründer Michael Sieber winkt ab. „Eine Lok für mehrere Hundert Euro ist kein Spielzeug für Kinder“, befindet man bei Simba Dickie. Zum anderen will Sieber nicht viele Millionen für eine angeschlagene Firma ausgeben. Warum hat er sich nicht einfach jemand anderen gesucht? Pluta grinst: „Wenn Sie von einer Frau einen Korb kriegen, geben Sie dann auf?“ Er will die Braut aufhübschen, wie Insolvenzverwalter sagen, solide Zahlen vorweisen und neue Produkte für Kinder: „Dass Kunden wegsterben, akzeptiere ich bei einer Zigarettenmarke, aber nicht bei Spielzeug.“ Der Insolvenzverwalter denkt wie ein Unternehmer. Für die Umsetzung des Plans holt er sich zwei Geschäftsführer, erst Kurt Seitzinger, dann Stefan Löbich. Plutas Job ist es, ihnen den Rücken freizuhalten. Pluta kämpft mit Märklins Gläubigern Denn die Gläubiger sind wenig begeistert. „Herr Pluta hat selbst nicht immer eine ganz klare Position gehabt“, sagt Hariolf Teufel, Vorstandssprecher der Sparkasse Göppingen. Erst habe er einen raschen Verkauf in Aussicht gestellt, dann Märk­lin plötzlich doch sanieren wollen. Erhebliche Differenzen habe es über den Zeitpunkt des Verkaufs gegeben. „Wir haben schon gescherzt: Ihm gefallen die Eisenbahnen so gut, er will sie nicht mehr hergeben.“ Immer wieder haben die Banken böse Überraschungen erlebt. „Die haben uns mit der Historie überhaupt nichts geglaubt“, sagt Pluta, „die haben gesagt: Der spielt vielleicht mit unserem Geld.“ Unter großer Skepsis darf Pluta zunächst seine Sparpläne bei Märk­lin umsetzen. Weitere Kredite gibt es keine. Pluta legt los: Berater, Marketing, Lager, Mitarbeiter. Anfang 2010 präsentiert er seinen ersten Jahresabschluss. Umsatz: 111 Millionen, Gewinn vor Zinsen und Steuern: 12,4 Millionen Euro. Durch Gewinn und reduziertes Umlaufvermögen hat Märklin 2010 knapp 40 Millionen Euro auf dem Konto. Pluta nutzt das Geld, um sich Zeit zu kaufen. Er schlägt einen Insolvenzplan vor: 33 Millionen Euro sollen sofort an die Gläubiger gehen, 27 Millionen davon an die Banken LBBW, Sparkasse und Goldman. Nach vier Jahren endet für Pluta das Abenteuer Märklin Den Kniff seines Plans würden Finanzexperten als eine Art Debt-Equity-Swap bezeichnen: Bis spätestens 2014 darf weitersaniert, dann soll verkauft und aus dem Kaufpreis die übrigen Schulden beglichen werden. Faktisch werden so Forderungen zu Anteilen an Märklin. Alles ist eine Wette: Die Gläubiger gewinnen, wenn Pluta recht behält und er das Unternehmen nach ein paar Jahren teurer verkaufen kann; sonst verbrennen sie weiter Kapital. Ob die Gläubiger den Plan annehmen, lässt sich auf die Frage reduzieren: Vertrauen sie Pluta? Am 21. Dezember 2010 nehmen sie an – mit 99,8 Prozent Zustimmung. Im Hintergrund basteln die Märklin-Geschäftsführer am neuen Sortiment, wollen kindgerechte Startpakete. Ende 2011, pünktlich zu Weihnachten, hält Geschäftsführer Löbich einen Karton in der Hand mit einer robusten ICE-Lok und ein paar Schienen, die Untermarke heißt „My World“. Kosten: 49,90 Euro. Maßstab: irgendeiner, sicher nicht 1:87. Mitarbeiter, die schon lange bei Märklin sind, halten das für einen Skandal. Der Handel sieht das anders und nimmt 20 000 Pakete ab. [caption id="attachment_2007473" align="alignleft" width="620"] Insolvenzverwalter Michael Pluta (l.) und Michael Sieber, ©Märklin[/caption] Als Märklin im Jahr 2012 zum dritten Mal einen Jahresgewinn präsentiert, meldet sich Pluta erneut bei Simba Dickie. Im August reisen Michael Sieber und sein Sohn Florian nach Ungarn, um das Werk in Györ zu besuchen – und sind begeistert. „Die Maschinen waren modern, der Grad der Automatisierung hoch, und die Mitarbeiter motiviert“, sagt Florian Sieber, heute einer von drei Geschäftsführern bei Märklin. Kurz darauf kommen die Siebers nach Göppingen. „Da wusste ich: Die beschäftigen sich mit Märklin“, sagt Verwalter Pluta. Im November 2012 gibt Simba Dickie eine Absichtserklärung ab: Die Fürther wollen kaufen. Pluta trommelt die Gläubiger zusammen: Er habe einen Käufer. Das Unternehmen Märklin bleibt bestehen. Für die Mitarbeiter in Göppingen gibt es eine Jobgarantie bis 2019. Und: Die Forderungen der Gläubiger können komplett erfüllt werden. „Im Nachhinein muss man sagen: Herr Pluta hat es richtig gemacht“, sagt Hariolf Teufel von der Sparkasse. In Göppingen brüten dieser Tage die Simba-Dickie-Leute, wie sie die Linie My World im Ausland vermarkten; für Insolvenzverwalter Pluta endet das Abenteuer Märklin nach vier Jahren. Bekommt man da keinen Phantomschmerz? Pluta ist irritiert. „Überhaupt nicht, wieso das denn?“ Es sind ja schon schöne Produkte, die Loks, die Waggons, die Schienen, die Weichen. „Wer das schön findet, kauft das. Das ist doch was anderes, als gleich die ganze Firma am Hals zu haben.“
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