Strategie
Warum ein Münchner Unternehmen nach Südtirol zog – und seitdem wächst

Vor fast 25 Jahren rettete der Südtiroler Heiner Oberrauch die "Sattler- und Lederwaren" aus München und verpflanzte das Unternehmen nach Bozen. Heute ist Salewa eine Weltmarke im Bergsport - auch dank ihrer neuen Heimat.

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Bei Salewa gilt das Prinzip "Management and Mountain". In Letzterem findet man Firmenpräsident Heiner Oberrauch vorzugsweise - bei Bergtouren auf dem Rad oder mit dem Kletterseil.
Bei Salewa gilt das Prinzip "Management and Mountain". In Letzterem findet man Firmenpräsident Heiner Oberrauch vorzugsweise - bei Bergtouren auf dem Rad oder mit dem Kletterseil.
© Giovanni Melillo Kostner/Agentur Focus

Zum Gespräch kommt Heiner Oberrauch etwas später. Er war noch oben morgens. Klettern in den Bergen. „Wir sind hier ideal gelegen“, sagt der Unternehmer und zeigt durch die großen Scheiben seines Bozener Büros, einem Glasprachtbau in Bergkristallform, direkt an der Brenner-Autobahn gelegen: Links erstreckt sich der Alpenhauptkamm über die österreichische Grenze, rechts hüllen sich die Dolomiten in Wolken. „In nicht einmal einer halben Stunde bin ich in den Bergen.“ Jedes Wochenende findet man Oberrauch dort oben – und den Schlüssel zu einer beeindruckenden Wandlungsgeschichte.

Oberrauch, 57, gesunder Teint, warmes Lächeln, ist Präsident der Südtiroler Bergsportmarke Salewa. Seit er 2004 das Management an Massimo Baratto – auch er ein Südtiroler – abgegeben hat, bezeichnet Oberrauch seinen Job gern als „Marken- und Stimmungshüter“. „Wir sind ein managementgeführtes Familienunternehmen“, sagt er. „Das heißt: Das Management entscheidet. Und die Familie gibt die Werte vor.“

Tatsächlich hat Oberrauch in den fast 25 Jahren, die er das Südtiroler Unternehmen inzwischen führt und prägt, aus dem einstigen Nischenhersteller ein internationales Outdoorkonglomerat gemacht. Unter verschiedenen Namen vertreibt die Unternehmensgruppe Oberalp, zu der Salewa als älteste und bekannteste Marke gehört, Rucksäcke, Wander­schuhe, Jacken, Zelte, Karabiner, Helme, Eispickel, Tourenski und Bindungen.

Strategisch kluge Zukäufe

Dass das Produktportfolio so stetig gewachsen ist, liegt vor allem an strategisch klugen Zukäufen, die das Unternehmen in den vergangenen Jahren immer wieder getätigt hat. So päppelte die Outdoorgruppe zum Beispiel den lange unterbewerteten Skitourenausrüster Dynafit von 3 Millionen auf fast 70 Mil­lionen Euro Jahresumsatz auf – und das in gerade einmal neun Jahren. „10 bis 15 Prozent“ wachse das Gesamtgeschäft so weltweit jährlich, sagt Oberrauch. Dieses Jahr wird die Oberalp-Gruppe erstmals die Umsatzmarke von 200 Millionen Euro knacken.

Dass Salewa und Oberalp heute so erfolgreich sind, hat viel mit Oberrauchs Geschichte und seiner Heimat Südtirol zu tun. Anfang der Achtziger beginnt er, erste Salewa-Produkte aus Deutschland in Bozen zu vertreiben. Von Salewa, den 1935 gegründeten „Sattler- und Lederwaren“ aus München, kauft Oberrauch damals Bergsport-Hartwaren wie Karabiner und andere Sicherungsmechanismen.

Hauptgeschäft Tapezierbedarf

Bald fertigt er auch erste Kleidung unter dem Namen Salewa. Der Deal: Oberrauch übernimmt die Entwicklung der Kollektion und darf im Gegenzug die Marke exklusiv für den italienischen Markt verwenden. Lizenzgebühren an Salewa muss er keine zahlen. Kleidung für den Bergsport? Das läuft nicht, denken die Münchener damals. Bis in die Neunziger hinein ist Salewa im Hauptgeschäft eine Einkaufs­genossenschaft für Tapezierer. Die Sportsparte dient den Bayern lange Zeit bloß als Lückenbüßer für das defizitäre Kerngeschäft.

1990 übernimmt Oberrauch schließlich das klamme Unternehmen, baut das Sportsegment aus und verpflanzt es von Deutschland nach Norditalien. Nur die Ausrüstungssparte – Zelte, Rucksäcke und Bindungen – bleibt in Oberbayern. „Südtirol ist meine Heimat, und ich lebe gern hier“, sagt Oberrauch. „Es war anfangs ein rein egoistischer Schritt, hierher­zugehen.“ Und: ein ziemlich kluger, wie sich später heraus­stellen wird.

Zwischen Alpenkamm und Dolomiten gelegen, könnte Salewa als Botschafterin der Berge kaum glaubwürdiger sein. Der Markt für alpine Techno­logien boomt in der Region naturbedingt. Jedes Jahr strömen Hunderttausende Sportbegeisterte in die Provinz, klettern, hiken, fahren Rad, genießen die Ruhe auf dem Berg. Knapp 50 Unternehmen tummeln sich in der Südtiroler Spezialbranche. Zusammen exportieren sie jedes Jahr Waren im Wert von 235 Millionen Euro, das sind rund 7 Prozent des gesam­ten Südtiroler Exportvolumens. Fast alle sind Mittelständler. Sie fertigen Pistenraupen, Seilbahnen, Schneekanonen – oder wie Salewa Berg- und Wintersportausrüstung.

Südtirol als Brückenregion

Als ehemals deutsches, nun südtirolerisches Unternehmen profitiert Salewa-Oberalp bis heute im beson­deren Maß von der wirtschaftlichen Brückenfunktion der Region. „Wir sind eine der wenigen alpinen Marken, die beide Märkte für sich beansprucht – den germanischen und den lateinischen“, sagt Oberrauch. So kenne in Italien kaum jemand Salewas Hauptkonkurrenten wie Schöffel oder Jack Wolfskin. Umgekehrt sei Montura, Salewas größter Mitbewerber in Italien, in Deutschland weitestgehend unbekannt.

Nach wie vor sei daher der Alpenraum der wichtigste Markt für ihn, sagt Oberrauch – auch wenn Salewa längst weltweit wächst. Allein in Südkorea gibt es heute 72 Salewa-Läden. In China soll die Dichte des Verkaufsnetzes bis zum Ende des nächsten Jahres fast verdoppelt werden.

An der Heimat schätzt Oberrauch auch sein persönliches Netzwerk, das er sich über die Jahre hier aufgebaut hat. Seit Mitte der Achtziger steht Oberrauch mit Bergsteigergrößen wie Hans Kammerlander, Christoph Hainz und Reinhold Messner im Austausch. Mit einigen war Oberrauch schon in den Bergen touren, einige sind seine Freunde.

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Mit Reinhold Messners Bruder Siegfried zum Beispiel hatte er einst sogar den Salewa-Textilvertrieb in Italien gestartet. Nur wenige Jahre später verunglückte der Messner-Bruder auf einer Bergwanderung. Die Verbindung zur Familie blieb bestehen.

Mit anderen Bergsportprofis, Bergführern und Rettungskräften hat Salewa ganze Produkte neu- und weiterentwickelt, Industriestandards gesetzt und mögliche Geschäftsfelder – wie zuletzt den boomenden Tourenski-Markt – aufgespürt. „Eine starke Marke muss immer auch Sportarten weiterent­wickeln“, sagt Oberrauch.

Bergsport ist Geschäft und Leiden­schaft zugleich

Für den Unternehmer ist der Bergsport Geschäft und Leiden­schaft zugleich. Auch sein näheres Umfeld ­bekommt das gelegentlich zu spüren. Neuen Führungskräften drückt er zur Begrüßung gern einmal eine Packung M&Ms in die Hand, um sie rituell auf die Salewa-Führungsphilosophie „Management and Mountain“ einzustimmen.

In seinem Ehevertrag hat Oberrauch festschreiben lassen, dass er alle zwei Jahre auf eine Expedition in die Berge darf. Alle fünf Jahre lädt der Firmenpräsident seine Belegschaft auf eine einwöchige Bergtour ins Ausland ein, zuletzt waren sie in Albanien, davor in Marokko. Wer will, kann bei Salewa früher Feierabend machen, um in den Bergen auf neue Gedanken zu kommen. Jede Woche organisiert das Unternehmen für seine Mitarbeiter außerdem Ausflüge ins Umland, im Sommer stehen Wander- oder Radtouren an, im Winter geht es auf die Piste. „Ohne Begeisterung“, sagt Oberrauch, „geht bei uns gar nix.“

Was Unternehmer vom Bergsteigen lernen können? „Ach, einiges“, sagt Oberrauch und fängt an, mit der Hand zu zählen: „Ausreichende Vorbereitung ist für jede Bergtour und Geschäftsidee entscheidend“, sagt er und klappt den Daumen aus. „Die Verantwortung füreinander.“ Zeigefinger. „Der strikte Zeitplan, das Kräfteeinschätzen.“ Mittelfinger, Ringfinger. „Auf dem Berg wie im Unternehmen müssen Sie bereit sein, die Komfortzone zu verlassen – so lange, bis man endlich am Ziel ankommt.“ Nächstes Wochenende ist es für Heiner Oberrauch wieder so weit.

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Zum Gespräch kommt Heiner Oberrauch etwas später. Er war noch oben morgens. Klettern in den Bergen. "Wir sind hier ideal gelegen", sagt der Unternehmer und zeigt durch die großen Scheiben seines Bozener Büros, einem Glasprachtbau in Bergkristallform, direkt an der Brenner-Autobahn gelegen: Links erstreckt sich der Alpenhauptkamm über die österreichische Grenze, rechts hüllen sich die Dolomiten in Wolken. "In nicht einmal einer halben Stunde bin ich in den Bergen." Jedes Wochenende findet man Oberrauch dort oben – und den Schlüssel zu einer beeindruckenden Wandlungsgeschichte. Oberrauch, 57, gesunder Teint, warmes Lächeln, ist Präsident der Südtiroler Bergsportmarke Salewa. Seit er 2004 das Management an Massimo Baratto – auch er ein Südtiroler – abgegeben hat, bezeichnet Oberrauch seinen Job gern als "Marken- und Stimmungshüter". "Wir sind ein managementgeführtes Familienunternehmen", sagt er. "Das heißt: Das Management entscheidet. Und die Familie gibt die Werte vor." Tatsächlich hat Oberrauch in den fast 25 Jahren, die er das Südtiroler Unternehmen inzwischen führt und prägt, aus dem einstigen Nischenhersteller ein internationales Outdoorkonglomerat gemacht. Unter verschiedenen Namen vertreibt die Unternehmensgruppe Oberalp, zu der Salewa als älteste und bekannteste Marke gehört, Rucksäcke, Wander­schuhe, Jacken, Zelte, Karabiner, Helme, Eispickel, Tourenski und Bindungen. Strategisch kluge Zukäufe Dass das Produktportfolio so stetig gewachsen ist, liegt vor allem an strategisch klugen Zukäufen, die das Unternehmen in den vergangenen Jahren immer wieder getätigt hat. So päppelte die Outdoorgruppe zum Beispiel den lange unterbewerteten Skitourenausrüster Dynafit von 3 Millionen auf fast 70 Mil­lionen Euro Jahresumsatz auf – und das in gerade einmal neun Jahren. "10 bis 15 Prozent" wachse das Gesamtgeschäft so weltweit jährlich, sagt Oberrauch. Dieses Jahr wird die Oberalp-Gruppe erstmals die Umsatzmarke von 200 Millionen Euro knacken. Dass Salewa und Oberalp heute so erfolgreich sind, hat viel mit Oberrauchs Geschichte und seiner Heimat Südtirol zu tun. Anfang der Achtziger beginnt er, erste Salewa-Produkte aus Deutschland in Bozen zu vertreiben. Von Salewa, den 1935 gegründeten "Sattler- und Lederwaren" aus München, kauft Oberrauch damals Bergsport-Hartwaren wie Karabiner und andere Sicherungsmechanismen. Hauptgeschäft Tapezierbedarf Bald fertigt er auch erste Kleidung unter dem Namen Salewa. Der Deal: Oberrauch übernimmt die Entwicklung der Kollektion und darf im Gegenzug die Marke exklusiv für den italienischen Markt verwenden. Lizenzgebühren an Salewa muss er keine zahlen. Kleidung für den Bergsport? Das läuft nicht, denken die Münchener damals. Bis in die Neunziger hinein ist Salewa im Hauptgeschäft eine Einkaufs­genossenschaft für Tapezierer. Die Sportsparte dient den Bayern lange Zeit bloß als Lückenbüßer für das defizitäre Kerngeschäft. 1990 übernimmt Oberrauch schließlich das klamme Unternehmen, baut das Sportsegment aus und verpflanzt es von Deutschland nach Norditalien. Nur die Ausrüstungssparte – Zelte, Rucksäcke und Bindungen – bleibt in Oberbayern. "Südtirol ist meine Heimat, und ich lebe gern hier", sagt Oberrauch. "Es war anfangs ein rein egoistischer Schritt, hierher­zugehen." Und: ein ziemlich kluger, wie sich später heraus­stellen wird. Zwischen Alpenkamm und Dolomiten gelegen, könnte Salewa als Botschafterin der Berge kaum glaubwürdiger sein. Der Markt für alpine Techno­logien boomt in der Region naturbedingt. Jedes Jahr strömen Hunderttausende Sportbegeisterte in die Provinz, klettern, hiken, fahren Rad, genießen die Ruhe auf dem Berg. Knapp 50 Unternehmen tummeln sich in der Südtiroler Spezialbranche. Zusammen exportieren sie jedes Jahr Waren im Wert von 235 Millionen Euro, das sind rund 7 Prozent des gesam­ten Südtiroler Exportvolumens. Fast alle sind Mittelständler. Sie fertigen Pistenraupen, Seilbahnen, Schneekanonen – oder wie Salewa Berg- und Wintersportausrüstung. Südtirol als Brückenregion Als ehemals deutsches, nun südtirolerisches Unternehmen profitiert Salewa-Oberalp bis heute im beson­deren Maß von der wirtschaftlichen Brückenfunktion der Region. „Wir sind eine der wenigen alpinen Marken, die beide Märkte für sich beansprucht – den germanischen und den lateinischen“, sagt Oberrauch. So kenne in Italien kaum jemand Salewas Hauptkonkurrenten wie Schöffel oder Jack Wolfskin. Umgekehrt sei Montura, Salewas größter Mitbewerber in Italien, in Deutschland weitestgehend unbekannt. Nach wie vor sei daher der Alpenraum der wichtigste Markt für ihn, sagt Oberrauch – auch wenn Salewa längst weltweit wächst. Allein in Südkorea gibt es heute 72 Salewa-Läden. In China soll die Dichte des Verkaufsnetzes bis zum Ende des nächsten Jahres fast verdoppelt werden. An der Heimat schätzt Oberrauch auch sein persönliches Netzwerk, das er sich über die Jahre hier aufgebaut hat. Seit Mitte der Achtziger steht Oberrauch mit Bergsteigergrößen wie Hans Kammerlander, Christoph Hainz und Reinhold Messner im Austausch. Mit einigen war Oberrauch schon in den Bergen touren, einige sind seine Freunde. Mit Reinhold Messners Bruder Siegfried zum Beispiel hatte er einst sogar den Salewa-Textilvertrieb in Italien gestartet. Nur wenige Jahre später verunglückte der Messner-Bruder auf einer Bergwanderung. Die Verbindung zur Familie blieb bestehen. Mit anderen Bergsportprofis, Bergführern und Rettungskräften hat Salewa ganze Produkte neu- und weiterentwickelt, Industriestandards gesetzt und mögliche Geschäftsfelder – wie zuletzt den boomenden Tourenski-Markt – aufgespürt. "Eine starke Marke muss immer auch Sportarten weiterent­wickeln", sagt Oberrauch. Bergsport ist Geschäft und Leiden­schaft zugleich Für den Unternehmer ist der Bergsport Geschäft und Leiden­schaft zugleich. Auch sein näheres Umfeld ­bekommt das gelegentlich zu spüren. Neuen Führungskräften drückt er zur Begrüßung gern einmal eine Packung M&Ms in die Hand, um sie rituell auf die Salewa-Führungsphilosophie "Management and Mountain" einzustimmen. In seinem Ehevertrag hat Oberrauch festschreiben lassen, dass er alle zwei Jahre auf eine Expedition in die Berge darf. Alle fünf Jahre lädt der Firmenpräsident seine Belegschaft auf eine einwöchige Bergtour ins Ausland ein, zuletzt waren sie in Albanien, davor in Marokko. Wer will, kann bei Salewa früher Feierabend machen, um in den Bergen auf neue Gedanken zu kommen. Jede Woche organisiert das Unternehmen für seine Mitarbeiter außerdem Ausflüge ins Umland, im Sommer stehen Wander- oder Radtouren an, im Winter geht es auf die Piste. "Ohne Begeisterung", sagt Oberrauch, "geht bei uns gar nix." Was Unternehmer vom Bergsteigen lernen können? "Ach, einiges", sagt Oberrauch und fängt an, mit der Hand zu zählen: "Ausreichende Vorbereitung ist für jede Bergtour und Geschäftsidee entscheidend", sagt er und klappt den Daumen aus. "Die Verantwortung füreinander." Zeigefinger. "Der strikte Zeitplan, das Kräfteeinschätzen." Mittelfinger, Ringfinger. "Auf dem Berg wie im Unternehmen müssen Sie bereit sein, die Komfortzone zu verlassen – so lange, bis man endlich am Ziel ankommt." Nächstes Wochenende ist es für Heiner Oberrauch wieder so weit.
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