Fehlermanagement in der Luftfahrt
Offen über Fehler sprechen – so kommen Sie diesem Ziel näher

Was schützt vor Fehlern? Und wie können Führungskräfte ein Team dazu bringen, Fehler offen anzusprechen? Antworten auf diese Fragen liefert das Fehlermanagement in der Luftfahrt - von dem sich Unternehmen einiges abschauen können.

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Fehlermanagement in der Luftfahrt
© dannyO / photocase.de

Kaum eine Branche arbeitet so intensiv an ihrer Fehlerkultur wie die Luftfahrt: Unglücke und Abstürze sind heute so selten wie nie zuvor. Verantwortlich dafür ist vor allem ein kluger Umgang mit Fehlern, der im Crew Resource Management (CRM) von Flugzeugbesatzungen geübt wird. Jan Hagen, Professor an der privaten Hochschule ESMT in Berlin, erforscht CRM seit vielen Jahren.

impulse: Herr Hagen, die Luftfahrt gilt in Sachen Fehlermanagement als Vorreiter. Das Risiko, als Passagier bei einem Flugzeugabsturz zu sterben, liegt heute bei 1 zu 60 Millionen. Wie schaffen die Fluggesellschaften eine solche Bilanz?
Jan Hagen: Früher hieß es: Luftfahrt ist gefährlich, Fehler können tödlich sein, also dürfen wir keine Fehler machen. Heute ist man weg von der Idee, Fehler vermeiden zu können. Denn das können wir nicht.

Aber niemand möchte mit einem Piloten fliegen, der Fehler macht.
Ein Flugzeug stürzt nicht ab, weil einer etwas falsch macht. In den 70er-Jahren hat man gemessen, wie oft Flugzeugbesatzungen Fehler passieren. Das war erschreckend – alle vier Minuten. Die meisten Fehler waren aber gar nicht schlimm. Es ist fast immer eine Fehlerkette, die tödlich ist. Diese Kette muss man durchbrechen.

Wie geht das?
Man muss die Mitarbeiter dazu bringen, ganz offen über Dinge zu sprechen, die nicht laufen. Das Problem ist nämlich nicht der Fehler, sondern der nicht entdeckte Fehler. Aus einem nicht entdeckten Fehler kann niemand lernen, er kann immer wieder passieren. Das gilt für Unternehmen genauso wie in der Luftfahrt.

Fehler zuzugeben, ist nicht gerade eine menschliche Stärke.
Das muss man üben. Flugzeugbesatzungen haben einmal im Jahr das so genannte Crew-Ressource-Management-Training. Dort wird gelernt, völlig ohne Schuldzuweisung über Probleme zu sprechen, immer faktenorientiert. Für kluges Fehlermanagement braucht man eine ganz offene Atmosphäre. Dafür gibt es Instrumente.

Welche?
Der Kapitän darf zum Beispiel nicht zu dominant sein, muss sich ein Stück zurücknehmen. Er soll den Informationsfluss managen und nicht derjenige sein, von dem der Informationsfluss ausgeht. Es ist nicht der Pilot gut, der viele Befehle gibt und Situationen schnell analysiert, sondern der, der viel fragt, viel Input einfordert und dann entscheidet. Ein weiteres wichtiges Instrument: Fehler sollten nicht bestraft werden.

Aber wenn ein Mitarbeiter keine Konsequenzen fürchten muss, gibt er sich doch keine Mühe mehr.
Die Gefahr bei einem sanktionierenden System ist, dass der Mitarbeiter überhaupt keinen Anreiz mehr hat, offen über Fehler zu sprechen. Fehler bergen ja oft etwas Positives: Durch Fehler kann man sich weiterentwickeln – aber nur dann, wenn man über sie redet. Es stimmt nicht, dass wir aus Erfahrung klug werden. Reflexion macht klug. Wichtig dafür ist eine flache Hierarchie.

Warum?
Die Mitarbeiter sollen Fehler melden. Und das tun sie eher weniger, wenn die Führungskraft als Alleinherrscher auftritt. Deutsche Fluggesellschaften wie Lufthansa und Air Berlin sind daher dazu übergegangen, dass die Piloten sich duzen. Sprache und Kommunikation können Hürden aufbauen. Beim Duzen fällt es leichter zu sagen: Da läuft was nicht richtig.

In Skandinavien ist das Duzen ohnehin üblich. Funktioniert dort Fehlermanagement besser?
Ja, wenn man sich die Unglücksstatistiken anschaut, dann passiert bei Besatzungen aus egalitären Kulturen weniger als bei Crews aus Ländern, die eher hierarchisch geprägt sind. Ich schreibe in meinem Buch von einer japanischen Flugmannschaft, die etwas hilflos ist mit ihrem Piloten, der eigentlich nicht fit zum Fliegen ist. Die hoffen, dass etwas passiert, greifen aber nicht ein. Der Respekt vor der Führungskraft steht ihnen im Wege. Die meisten Unfälle in der Luftfahrt passieren im asiatischen Raum: China, Indien, auch Russland. In den westlichen Industrieländern passieren sehr wenige Unglücke, allerdings gibt es ein Nord-Süd-Gefälle: Frankreich, Italien, Spanien sind problematischer als Skandinavien, Deutschland, Großbritannien und die USA.

Die Statistik hält noch eine Überraschung bereit: Sitzt der Co-Pilot am Steuer, passieren weniger Unfälle, als wenn der erfahrene Kapitän fliegt. Warum?
Auch hier geht es um Hierarchie. Der Kapitän macht den Co-Piloten schneller auf Fehler aufmerksam oder übernimmt das Steuer als umgekehrt. Daher gibt es auch bei der Luftwaffe Regeln, wer mit wem zusammen fliegt.

Inwiefern?
Ein General soll zum Beispiel nicht am Steuer sitzen, wenn der Co-Pilot nur Hauptmann ist. Das ist eine gefährliche Zusammenstellung, weil der General einen so ungleich höheren Rang hat. Generäle fliegen daher grundsätzlich nur mit Ausbildungspiloten. So bringt man einen Twist in das steile Hierarchiegefälle. Denn der Ausbildungspilot ist es gewohnt, Piloten zu korrigieren. Für ihn ist es nicht so schwierig, einem General zu sagen, was er zu tun hat.

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Wer man Mitarbeiter zum Fehlerkultur-Seminar schickt, riskiert, dass die von vornherein die Augen verdrehen: „Jetzt machen wir schon wieder eine Maßnahme, Ringelpietz mit Anfassen.“
Mit einem Seminar ist es ohnehin nicht getan. Eine Fehlerkultur muss gelebter Alltag sein, man muss das Thema immer wieder ansprechen. Und es muss Spaß machen. Einige Luftfahrtgesellschaften sammeln zum Beispiel Fehler und schreiben sie unterhaltsam auf. Piloten lesen das gerne – nicht nur, um sich über die Fehler der anderen lustig zu machen. Die denken eher: ‚Verdammte Hacke, der ist genauso gut ausgebildet wie ich, warum ist der in eine solche Falle getappt?‘ Auch Unternehmen könnten davon profitieren: nicht immer nur nach Best-Practice-Beispielen gucken, sondern: Was ist der dümmste Fehler, der passiert ist?

Sie haben in einer Studie untersucht, wie deutsche Führungskräfte mit Fehlern umgehen. Was hat Sie überrascht?
Frauen neigen ein bisschen mehr zur Offenheit. Der Unterschied ist nicht riesig, aber messbar. Es gibt auch Untersuchungen, die zeigen, dass Frauen nicht so politisch agieren. Im Sinne des Fehlermanagements ist das die richtige Verhaltensweise. Die Klappe zu halten, ist völlig idiotisch. Auch zwischen älteren und jüngeren Mitarbeitern gibt es Unterschiede. Leute, die älter sind, die mehr gesehen haben, sind tendenziell eher bereit, über Fehler offen zu reden. Das fängt erst Ende 50, Anfang 60 an, die letzten Jahre vor der Rente. Vermutlich sagen die sich: „Was soll mir jetzt noch passieren? Rausschmeißen können die mich nicht mehr. Dann sag ich’s einfach.“

Kaum eine Branche arbeitet so intensiv an ihrer Fehlerkultur wie die Luftfahrt: Unglücke und Abstürze sind heute so selten wie nie zuvor. Verantwortlich dafür ist vor allem ein kluger Umgang mit Fehlern, der im Crew Resource Management (CRM) von Flugzeugbesatzungen geübt wird. Jan Hagen, Professor an der privaten Hochschule ESMT in Berlin, erforscht CRM seit vielen Jahren. impulse: Herr Hagen, die Luftfahrt gilt in Sachen Fehlermanagement als Vorreiter. Das Risiko, als Passagier bei einem Flugzeugabsturz zu sterben, liegt heute bei 1 zu 60 Millionen. Wie schaffen die Fluggesellschaften eine solche Bilanz? Jan Hagen: Früher hieß es: Luftfahrt ist gefährlich, Fehler können tödlich sein, also dürfen wir keine Fehler machen. Heute ist man weg von der Idee, Fehler vermeiden zu können. Denn das können wir nicht. Aber niemand möchte mit einem Piloten fliegen, der Fehler macht. Ein Flugzeug stürzt nicht ab, weil einer etwas falsch macht. In den 70er-Jahren hat man gemessen, wie oft Flugzeugbesatzungen Fehler passieren. Das war erschreckend – alle vier Minuten. Die meisten Fehler waren aber gar nicht schlimm. Es ist fast immer eine Fehlerkette, die tödlich ist. Diese Kette muss man durchbrechen. Wie geht das? Man muss die Mitarbeiter dazu bringen, ganz offen über Dinge zu sprechen, die nicht laufen. Das Problem ist nämlich nicht der Fehler, sondern der nicht entdeckte Fehler. Aus einem nicht entdeckten Fehler kann niemand lernen, er kann immer wieder passieren. Das gilt für Unternehmen genauso wie in der Luftfahrt. Fehler zuzugeben, ist nicht gerade eine menschliche Stärke. Das muss man üben. Flugzeugbesatzungen haben einmal im Jahr das so genannte Crew-Ressource-Management-Training. Dort wird gelernt, völlig ohne Schuldzuweisung über Probleme zu sprechen, immer faktenorientiert. Für kluges Fehlermanagement braucht man eine ganz offene Atmosphäre. Dafür gibt es Instrumente. Welche? Der Kapitän darf zum Beispiel nicht zu dominant sein, muss sich ein Stück zurücknehmen. Er soll den Informationsfluss managen und nicht derjenige sein, von dem der Informationsfluss ausgeht. Es ist nicht der Pilot gut, der viele Befehle gibt und Situationen schnell analysiert, sondern der, der viel fragt, viel Input einfordert und dann entscheidet. Ein weiteres wichtiges Instrument: Fehler sollten nicht bestraft werden. Aber wenn ein Mitarbeiter keine Konsequenzen fürchten muss, gibt er sich doch keine Mühe mehr. Die Gefahr bei einem sanktionierenden System ist, dass der Mitarbeiter überhaupt keinen Anreiz mehr hat, offen über Fehler zu sprechen. Fehler bergen ja oft etwas Positives: Durch Fehler kann man sich weiterentwickeln – aber nur dann, wenn man über sie redet. Es stimmt nicht, dass wir aus Erfahrung klug werden. Reflexion macht klug. Wichtig dafür ist eine flache Hierarchie. Warum? Die Mitarbeiter sollen Fehler melden. Und das tun sie eher weniger, wenn die Führungskraft als Alleinherrscher auftritt. Deutsche Fluggesellschaften wie Lufthansa und Air Berlin sind daher dazu übergegangen, dass die Piloten sich duzen. Sprache und Kommunikation können Hürden aufbauen. Beim Duzen fällt es leichter zu sagen: Da läuft was nicht richtig. [mehr-zum-thema] In Skandinavien ist das Duzen ohnehin üblich. Funktioniert dort Fehlermanagement besser? Ja, wenn man sich die Unglücksstatistiken anschaut, dann passiert bei Besatzungen aus egalitären Kulturen weniger als bei Crews aus Ländern, die eher hierarchisch geprägt sind. Ich schreibe in meinem Buch von einer japanischen Flugmannschaft, die etwas hilflos ist mit ihrem Piloten, der eigentlich nicht fit zum Fliegen ist. Die hoffen, dass etwas passiert, greifen aber nicht ein. Der Respekt vor der Führungskraft steht ihnen im Wege. Die meisten Unfälle in der Luftfahrt passieren im asiatischen Raum: China, Indien, auch Russland. In den westlichen Industrieländern passieren sehr wenige Unglücke, allerdings gibt es ein Nord-Süd-Gefälle: Frankreich, Italien, Spanien sind problematischer als Skandinavien, Deutschland, Großbritannien und die USA. Die Statistik hält noch eine Überraschung bereit: Sitzt der Co-Pilot am Steuer, passieren weniger Unfälle, als wenn der erfahrene Kapitän fliegt. Warum? Auch hier geht es um Hierarchie. Der Kapitän macht den Co-Piloten schneller auf Fehler aufmerksam oder übernimmt das Steuer als umgekehrt. Daher gibt es auch bei der Luftwaffe Regeln, wer mit wem zusammen fliegt. Inwiefern? Ein General soll zum Beispiel nicht am Steuer sitzen, wenn der Co-Pilot nur Hauptmann ist. Das ist eine gefährliche Zusammenstellung, weil der General einen so ungleich höheren Rang hat. Generäle fliegen daher grundsätzlich nur mit Ausbildungspiloten. So bringt man einen Twist in das steile Hierarchiegefälle. Denn der Ausbildungspilot ist es gewohnt, Piloten zu korrigieren. Für ihn ist es nicht so schwierig, einem General zu sagen, was er zu tun hat. Wer man Mitarbeiter zum Fehlerkultur-Seminar schickt, riskiert, dass die von vornherein die Augen verdrehen: "Jetzt machen wir schon wieder eine Maßnahme, Ringelpietz mit Anfassen." Mit einem Seminar ist es ohnehin nicht getan. Eine Fehlerkultur muss gelebter Alltag sein, man muss das Thema immer wieder ansprechen. Und es muss Spaß machen. Einige Luftfahrtgesellschaften sammeln zum Beispiel Fehler und schreiben sie unterhaltsam auf. Piloten lesen das gerne - nicht nur, um sich über die Fehler der anderen lustig zu machen. Die denken eher: 'Verdammte Hacke, der ist genauso gut ausgebildet wie ich, warum ist der in eine solche Falle getappt?' Auch Unternehmen könnten davon profitieren: nicht immer nur nach Best-Practice-Beispielen gucken, sondern: Was ist der dümmste Fehler, der passiert ist? Sie haben in einer Studie untersucht, wie deutsche Führungskräfte mit Fehlern umgehen. Was hat Sie überrascht? Frauen neigen ein bisschen mehr zur Offenheit. Der Unterschied ist nicht riesig, aber messbar. Es gibt auch Untersuchungen, die zeigen, dass Frauen nicht so politisch agieren. Im Sinne des Fehlermanagements ist das die richtige Verhaltensweise. Die Klappe zu halten, ist völlig idiotisch. Auch zwischen älteren und jüngeren Mitarbeitern gibt es Unterschiede. Leute, die älter sind, die mehr gesehen haben, sind tendenziell eher bereit, über Fehler offen zu reden. Das fängt erst Ende 50, Anfang 60 an, die letzten Jahre vor der Rente. Vermutlich sagen die sich: "Was soll mir jetzt noch passieren? Rausschmeißen können die mich nicht mehr. Dann sag ich's einfach."
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