Sophia, warum ärgern wir uns so über Fehler?
Sophia Kohlenberg: Wir haben in den letzten Jahrzehnten eine Kultur geprägt, die immer darauf aus war, Erfolge in den Vordergrund zu stellen. Wenn wir einen Fehler machten, schien das ein persönliches Versagen zu sein. Gerade im Arbeitskontext wird man noch immer dafür evaluiert, wie man performt. Man darf sich also keine Fehler erlauben.
Aber ist es nicht nachvollziehbar, Erfolge in den Vordergrund zu stellen? Unternehmen wollen schließlich überleben, vielleicht Gewinne erzielen.
Definitiv ist es legitim, sich auf den Erfolg zu konzentrieren. Und natürlich wollen Unternehmen am Leben bleiben und ihre Mitarbeitenden auch bezahlen können. Ich glaube aber, dass Erfolg auch anders aussehen kann.
Wie denn?
Wenn wir Fehler als Lernmomente wahrnehmen und sie nicht nur Scham und Frustration erzeugen. Aus Fehlern kann ein Unternehmen ja auch viel Positives ziehen und Dinge verbessern.
Es ist im Moment auch gar nicht einfach, immer nur Erfolge vorzeigen zu können. Was Fehlerkultur angeht, ist das vielleicht auch eine ganz besondere Zeit.
Auf jeden Fall! Wir sind geprägt von technologischen Fortschritten, von Krisen und geopolitischen Instabilitäten. Aus meiner Sicht geht es deswegen immer weniger darum, wie wir Fehler vermeiden können. Vielmehr geht es darum, wie wir Fehler oder Scheitern im Zuge dieser Unsicherheiten und Veränderungen einbeziehen und vielleicht sogar nutzen können.
Es gibt ja viele Postkarten-Sprüche, wie „fail fast“ oder „fail forward“. Es ist die Idee zu sagen: Wenn schon Fehler passieren, dann bitte schnell, um sie revidieren oder nutzen zu können. Sind das Begriffe, die du aus der Wissenschaft kennst?
Ja, ich befasse mich in meiner Forschung selbst mit dem Thema „Failing Forward“. Bislang hat sich die Wissenschaft immer sehr stark mit der Fehlervermeidung auseinandergesetzt – dem sogenannten „Error Management“. „Failing Forward“ beschreibt ein ganz anderes Konstrukt: Demnach gibt es verschiedene Fehlertypen, mit unterschiedlichen Ursachen und Potenzialen.
Um das zu verstehen: „Error Management“ bedeutet, es gibt Fehler und ich muss damit irgendwie umgehen. Der Fokus liegt darauf, Fehler zu verhindern?
Richtig. Im Bereich „Error Management“ geht es um vermeidbare Fehler, die Unternehmen reduzieren wollen. Es geht um eigentlich klare Prozesse; jeder Schritt bis zum Ende ist bekannt, und wenn Fehler auftreten, hat das negative Konsequenzen.
Warum treten diese vermeidbaren Fehler denn – trotz aller Klarheit und Vorsichtsmaßnahmen – immer wieder auf?
Das liegt daran, dass Menschen involviert sind. Menschen sind nicht geeignet, alles zu 100 Prozent perfekt zu machen. Deutschland ist zwar ein sehr effizienzgetriebenes Land, wir sind sehr gut darin, Fehler zu minimieren. Trotzdem können in Prozessen menschengemachte Fehler immer wieder auftreten. Typischerweise im Bereich Kommunikation, bei der Informationsweitergabe oder auch in der Bedienung der Technik.
Da spielt doch sicher auch das Thema Scham rein: Es ist ja noch mal peinlicher, wenn ein Fehler passiert, der eigentlich vermeidbar gewesen wäre, oder?
Ja, das zeigt auch die Wissenschaft: Eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young von 2023 zeigt, dass nur etwas über 30 Prozent der Menschen in Unternehmen offen über Fehler sprechen. Das ist eine total traurige Zahl.
Das heißt, mehr als zwei Drittel verschweigen ihre Fehler?
Richtig. Und über die Hälfte der Befragten aus dieser Studie innerhalb Deutschlands haben angegeben, dass sie nicht über ihre Fehler sprechen, weil es für sie potenzielle Karrierenachteile haben und im schlimmsten Fall sogar das Karriereende bedeuten könnte.
Das ist ein Trauerspiel. Und Unternehmen scheitern mit dieser Kultur definitiv.
Ja, wenn wir nicht offen über Fehler sprechen, verbieten wir uns selbst, aus diesen Fehlern zu lernen. So gelingt es nicht, die vermeidbaren Fehler in Zukunft wirklich zu vermeiden und vielleicht sogar aus dem Gelernten etwas Hilfreiches für das ganze Unternehmen mitzunehmen.
Was kann man machen, um aus dieser Falle rauszukommen? Was können Mittelständler tun, um ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu animieren, offen über Fehler zu reden?
Das werde ich tatsächlich häufig gefragt. Die Erwartung an uns Wissenschaftler ist groß, dass wir einen Toolkoffer mitbringen und einfach sagen, wie es jetzt funktionieren soll. Was aber dann relativ schnell auffällt: In vielen Unternehmen fehlt die Sprache, um offen über Fehler zu reden. Es gibt keinen Konsens darüber, was Fehler überhaupt sind; es wird nicht zwischen den Fehlertypen und deren Potenzialen unterschieden.
Welche Sprache bräuchte es denn?
Es müsste erst mal klar sein, dass es neben den genannten vermeidbaren Fehlern auch unvermeidbare gibt. Diese treten auf, weil wir zum Beispiel in einem sehr dynamischen Umfeld leben und in komplexen Systemen arbeiten. Ein Beispiel, das mir da sofort in den Sinn kommt: Der Lieferkettenzusammenbruch während Covid. Da waren wir mit einer Krise konfrontiert, die für alle neu ist. Da sind ganz viele verschiedene Faktoren aufeinandergetroffen, sodass ein erprobtes System zusammengebrochen ist. Und das war wahrscheinlich unvermeidbar.
Der Einzelne konnte gar nicht absehen, was da genau passiert. Er war abhängig von ganz vielen anderen Entscheidungen, die gar nicht in seiner Hand lagen, richtig?
Genau. Diese Fehler nennen wir komplexitätsbedingte Fehler. Und dann gibt es auch noch die sogenannten intelligenten Fehler: Das sind Fehler, die wir vielleicht sogar bewusst provozieren – zum Beispiel in Innovationsprozessen. Wenn wir etwas neu denken wollen, ein neues Produkt erfinden möchten, gehen wir bewusst Risiken ein. Wir wollen herausfinden, was funktioniert und was nicht. Auf diesem Weg scheitern wir natürlich, kreieren so Lernmomente. Die Fehler sind es, die dann in spätere Erfolge umgewandelt werden können.
Müssten Unternehmer dann nicht auch eine Atmosphäre schaffen, in der offen über die Dinge gesprochen werden kann, die nicht gut gelaufen sind?
Führungskräfte haben aus meiner Sicht eine sehr wichtige Rolle, um die Fehlerkultur in Unternehmen zu ändern. Das zeigt auch die Studie von EY aus 2023: Demnach kommunizieren fast 80 Prozent aller Führungskräfte ihre eigenen Fehler nicht offen. Wenn Führungskräfte transparenter mit eigenen Fehlern umgehen und sie auch differenziert betrachten würden, wäre das ein ganz großer Schritt, damit auch Mitarbeitende anders mit ihren Fehlern umgehen.
Wenn ich als Chef nicht meine eigenen Fehler anspreche, darf ich auch nicht erwarten, dass mein Team offen über Fehler redet.
Richtig. Wir Menschen sind ja nun mal Lernwesen: Wir äffen sozusagen das nach, was uns vorgelebt wird. Wenn also Führungskräfte offen über Fehler sprechen, fällt es Mitarbeitenden leichter nachzuziehen.
Aber das ist doch ein Dilemma: Führungskräfte, Unternehmer und Unternehmerinnen wollen ja auch eine Autorität haben und anerkannt werden; zugleich sollen sie dann ihre Schwäche zeigen. Wie geht das übereinander?
Das ist sehr schwierig, und da kommen wir auch wieder auf die ganz persönliche Ebene zurück: Grundsätzlich müssen auch Führungskräfte sich eingestehen, dass Fehler natürlich sind und menschlich. Ein Fehler ist nicht immer gleich persönliches Versagen, sondern vielleicht einfach ein Lernmoment.
Aber gibt es nicht einen psychologischen Trick, um sich selbst zu überlisten und offen über eigene Fehler reden zu können?
Das ist eine gute Frage – aber auch schwierig. Ich glaube, der Trick liegt darin, es einfach mal auszuprobieren.
