Lieblingsmitarbeiter
Darf ich als Führungskraft einen Lieblingsmitarbeiter haben?

Ein Teammitglied bevorzugen? Ich doch nicht! Auch wenn es kaum jemand zugeben würde: Jeder hat Lieblinge. Coach Gregor Mielke erklärt, wie Führungskräfte klug damit umgehen und Spannungen vermeiden.

Aktualisiert am 20. August 2025, 13:56 Uhr, von Julia Müller, Redakteurin und Programmleiterin der impulse-Akademie

Lieblingsmitarbeiter
"Bei uns stimmt die Chemie einfach" - ist es ok, Lieblingsmitarbeiter zu haben?
© Brankospejs / iStock / Getty Images Plus / Getty Images

impulse: Herr Mielke, darf ich als Führungskraft einen Lieblingsmitarbeiter haben?
Gregor Mielke: Das können Sie gar nicht verhindern. Ich habe auch Mitarbeitende, die ich mehr mag als andere. Es geht dabei um Sympathie, und die ist nun einmal sehr ungleich verteilt. Wir finden Menschen sympathisch, von denen wir denken, dass sie uns ähnlich sind. Vielleicht teilen wir die gleichen Werte, haben eine ähnliche Haltung. Aber auch die Stimme, Äußerlichkeiten oder ein gemeinsames Hobby können dazu beitragen, dass Sympathie wächst. Die Frage ist: Was macht man damit?

Was empfehlen Sie denn?
Sie können von niemandem verlangen, seine Empfänglichkeit für Sympathieeffekte auszuschalten. Der erste Eindruck entsteht ungesteuert in Millisekunden. Aber Sie können schauen, was danach passiert. Das Ziel von Führungskräften muss es sein, eine einigermaßen vergleichbare Beziehungsqualität zu allen Mitarbeitenden herzustellen.

Wie kriegt man das hin?
Das ist zunächst einmal eine Frage der Haltung. Wir sprechen im Führungskräfte-Coaching von den 4 Ms der Führung: Man muss Menschen mögen. Dahinter steckt die Ansicht, dass jeder Mensch es wert ist, gemocht oder zumindest wertgeschätzt zu werden. Das ist eine Grundhaltung des Humanismus. Was übrigens auch impliziert, dass wir Menschen grundsätzlich für entwicklungskompetent halten.

Manche Führungskräfte sehen das nicht so. Die sagen: „Wir sind hier im Dienst. Mögen können wir uns woanders.“ Dann ist man oft bei einem vorschnellen Abtun von Mitarbeitenden: „Der ist einfach zu doof, aus dem wird nichts!“ oder „Wie die schon aussieht!“. Wer da stehen bleibt, macht es sich zu einfach.

Was passiert, wenn ich nicht zu allen im Team eine ähnliche Beziehung habe?
Wir wissen aus Studien, dass bei Jüngeren aus der Generation Y und Z der Anspruch an die Beziehungsqualität steigt. Sie suchen stärker als früher die Identifikationsmöglichkeit mit der Führungskraft als Person. Die wollen wissen: Wofür steht meine Führungskraft? Sieht die mich? Verschafft sie mir Bedeutsamkeit? Mitarbeitende nicht ausreichend zu sehen gilt mittlerweile als eine der Todsünden in der Führung.

Es sollte allen Führungskräften klar sein, dass es immer Sympathieeffekte gibt – mit möglichen Kollateralschäden. Wenn rauskommt, dass Sie mit einem Mitarbeiter immer am liebsten Essen gehen oder dass Sie beide Geheimnisse vor den anderen haben, kann das einen Keil ins Team treiben. Womöglich solidarisieren sich die anderen gegen den Mitarbeiter oder auch die Führungskraft, bis hin zu Mobbing. Und natürlich kann das Ihre Position als Führungskraft beschädigen.

Der Experte
Gregor Mielke ist Unternehmensberater und Coach. Als Co-Gründer und Partner von HPO Research & Consulting mit Sitz in Rösrath bei Köln beschäftigt er sich seit vielen Jahren mit High-Performance-Teams. Er hat Pädagogik und Biochemie studiert und ist Experte für die Diagnostik und Entwicklung von Führungskräften. An der Universität St. Gallen unterrichtet er unter anderem das Seminar „KMU Leadership“.

Ist es Chefinnen und Chefs immer bewusst, dass sie einzelne Teammitglieder mehr mögen als andere?
Ich glaube, den meisten Führungskräften gelingt es, niemanden offensichtlich oder vorsätzlich zurückzulassen. Aber es ist nicht allen bewusst, dass es Nähe- und Distanzphänomene gibt. Dafür bedarf es einer gewissen Selbstreflexion. Die Frage ist: Wie finde ich heraus, wer mir sympathisch ist und wer nicht? Eine pragmatische Annäherung, die gut funktioniert: Erstellen Sie eine Rangliste. Von Ihren zehn Mitarbeitenden, wer wäre da Ihr Sympathieträger Nummer 1? Und so weiter. So kommen Sie automatisch zu der Frage: Warum genau landet dieser Mitarbeiter eigentlich auf Platz 10?

Eine andere Vorgehensweise, die ich häufig in Assessments anwende: Verteilen Sie Sympathiewerte. Doppel-Plus bedeutet: Mit dem würde ich sofort in den Skiurlaub fahren. Plus heißt: Skiurlaub nicht direkt, aber ein Bier könnten wir gern zusammen trinken. Null steht für: Wer war das noch mal? Und Minus heißt: Die bitte nicht, da stimmt die Chemie gar nicht! So wird Ihnen sehr bewusst, dass es eine ungleiche Sympathieverteilung gibt.

Was fange ich dann mit dieser Erkenntnis an?
Wenn Sie zu allen im Team eine vergleichbare Beziehung herstellen möchten, wenden Sie nun die Methode des bewussten Falsifizierens an. Das heißt: Wenn Sie jemandem ein Minus gegeben haben, ist es Ihre Aufgabe als Führungskraft, sich selbst davon zu überzeugen, dass derjenige auch ein Plus-Kandidat sein kann. Das lenkt Ihre Wahrnehmung in die Ecken, die Ihnen Kraft des ersten Eindrucks eigentlich verborgen geblieben wären.

Wenn man einmal jemanden in die Kategorie „Das passt einfach nicht“ einsortiert hat, stelle ich mir das sehr schwierig vor.
Absolut. Das kostet Kraft und Disziplin. Und es dauert. Aber Sie müssen sich dieser Aufgabe stellen, um Ihre Wahrnehmungsverzerrung zu reduzieren. Es ist hochriskant, sich nur auf den ersten Eindruck, nur auf die Sympathie zu verlassen. Angenommen, Sie haben Ihre Mitarbeiterin Katja als tolle Frau abgespeichert, eine Plus-Kandidatin. Wenn ihr einmal etwas nicht gelingt, würde Ihr Gehirn Ihnen vermitteln: Na ja, das ist ja nicht so schlimm. Sie hat es gerade schwer, das ist ja ein komplexes Projekt. Das heißt, Sie würden automatisch versuchen, Ihr erstes Urteil über Katja zu bestätigen. Der Kollege Karl-Peter dagegen ist Ihr Minus-Kandidat. Der bemüht sich richtig, er bringt die gleiche Leistung wie Katja. Und Sie sagen sich: Na gut, jetzt strengt der sich mal ausnahmsweise an, war ja schon auch Glück dabei.

Wahrnehmungspsychologisch wurde das in vielen Experimenten nachgewiesen: Mit der Vorannahme „Die ist eine Gute“ sehen Sie tatsächlich mehr Gutes in Katja – was dazu führt, dass sie sich mehr gesehen fühlt und noch mehr Gutes zeigt. Und bei Karl-Peter sehen Sie messbar mehr Negatives, geben negative Signale, und das führt dazu, dass er tatsächlich schlechter wird.

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Das ist ja total unfair. Wie komme ich da raus?
Sie können sich das einigermaßen abtrainieren, indem Sie sich bewusst fragen: Was ist eigentlich Gutes an Karl-Peter? So verbreitern Sie Ihre Wahrnehmung. Ich empfehle, das einmal aufzuschreiben. Dann sind Sie gezwungen, Ihre Gedanken zu sortieren und sich selbst zu hinterfragen. Fragen Sie auch Ihre Mitarbeitenden nach ihrem Erleben und wie sie sich gesehen und gewertschätzt fühlen. Es hilft zudem, sich an Beispiele aus der Vergangenheit zu erinnern. Vermutlich kennen auch Sie Menschen, die Ihnen zunächst unsympathisch waren und dann gewachsen sind.

Eine sehr effektive Methode, die eigene Wahrnehmung zu überlisten, ist die Nutzung von KI-gestützter Diagnostik, die wir im Coaching und bei der Teamentwicklung immer häufiger einsetzen. Die KI kann uns helfen, unsere Wahrnehmung auf einen unbeeinflussbaren Prüfstand zu stellen. So ein Algorithmus ist schlichtweg frei von Sympathieeffekten.

Ich muss also lernen, jeden zu mögen?
Ich würde lügen, wenn ich sagen würde: Mir sind alle Menschen sympathisch. Es gibt Grenzen, ich will das nicht zu rosarot malen. Wenn jemand die Teamkultur torpediert und die Ansichten und Einstellungen völlig konträr sind, dann muss man als Führungskraft auch sagen: Das passt nicht, diese Leute sollten woanders ihr Heil suchen.

Das eine ist die Selbstreflexion der Führungskraft. Was ist noch wichtig, damit die Beziehungsqualität mit allen im Team stimmt?
Es ist auch zentral, das Team selbst zu entwickeln. Es ist eine geteilte Verantwortung, Schieflagen im Team zu adressieren. In einem reifen Team gibt es eine Feedback-Kultur, in der so etwas besprechbar ist. Zu sagen, dass man sich ungleich behandelt fühlt, ist natürlich nicht leicht, es braucht Vertrauen und Offenheit. Es ist ein längerer Weg, für den Sie vielleicht auch Unterstützung von außen brauchen. Sie können dafür etwa einen Code of Conduct erarbeiten.

Es gibt Führungskräfte, die wechselnde Günstlinge haben. Eine Zeit lang wird eine Mitarbeiterin hochgejubelt – bis der nächste Liebling auftaucht. Wie schätzen Sie dieses Verhalten ein?
So etwas habe ich früher selbst einmal erlebt. Das ist nicht schön. Die Führungskraft zerstört damit massiv Vertrauen. Es ist auch unternehmerisch falsch. Wenn Mitarbeitende spüren, dass eine Sonderbehandlung bewusst gesteuert wird, führt das irgendwann zu einer Minderleistung. Die Motivation sinkt, das Teamgefüge wird nachhaltig gestört. Ganz abgesehen davon, welches Menschenbild hinter so einem Verhalten steckt: Benutze ich Menschen so, wie ich sie brauche, und wechsele dann zum nächsten Günstling? Solche Führungskräfte wird es nicht mehr lange geben. Mitarbeitende stimmen immer schneller mit den Füßen ab. Sie gehen dann.

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