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Auf dem Schreibtisch herrschte Chaos. Zwischen dreckigen Kaffeetassen und leeren Bonbonpapieren türmten sich wichtige Unterlagen. „Wenn ich das morgens gesehen habe, habe ich mich direkt geärgert“, erinnert sich Führungscoach Ulla Wiegand aus Hamburg an das Büro eines ehemaligen Angestellten. „Ich bin ein sehr ordentlicher Mensch, besonders bei der Arbeit. Dieser Mitarbeiter war das komplette Gegenteil von mir.“ Kein Wunder daher, dass er Wiegand unsympathisch war.
Dass du jemanden nicht magst, ist ganz natürlich und kann bei der Arbeit genauso wie im Privaten passieren. Aber wenn deine Abneigung nichts mit den Leistungen der Person zu tun hat, kann es schnell zu Unstimmigkeiten und Verunsicherungen im Team kommen. Gelingt es dir nicht, deine Abneigung zu überwinden, kann das dazu führen, dass du deine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unfair behandelst. „Als Führungskraft hast du die Aufgabe, deiner Rolle gerecht zu werden und sich gegenüber den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen nicht von den eigenen Gefühlen leiten zu lassen“, so Wiegand.
Die Antipathie nicht ignorieren, sondern aktiv werden
Auch wenn du vermutlich niemanden einstellen würdest, der dir von Anfang an unsympathisch ist: Manche Eigenheiten zeigen sich erst im Arbeitsalltag – so wie der Hang zur Unordnung bei Wiegands früherem Angestellten. Und es kann passieren, dass jemand im Team etwas tut oder sagt, das dich auf Dauer irritiert. Oder die Person war schon da, als du die Führungsrolle übernommen hast.
Gerade dann ist es wichtig, nicht auszuweichen. Wiegand sagt: „Antipathie ist ein Gefühl. Da kann man ja nicht so tun, als wäre das nicht da.“ Im Gegenteil: Wenn du Gefühle ignorierst, beeinflussen sie Entscheidungen, Verhalten und die Atmosphäre im Team, oft stärker als dir bewusst ist. Deshalb braucht es die Bereitschaft, die eigene Reaktion wahrzunehmen, statt sie wegzudrücken.
Wenn du dein Gefühl nicht länger ausblendest, sondern ernst nimmst, kannst du strukturiert weiterarbeiten. Dafür gibt es vier Schritte, die dich durch den Prozess führen. Der erste Schritt beginnt mit einer Analyse der Situation.
Schritt 1: Analyse
„Im ersten Schritt prüfen Führungskräfte, ob es tatsächlich ein Leistungs- oder Verhaltensproblem gibt oder ob die eigene Antipathie eine Rolle spielt. „Jeder im Team hat ein Recht auf eine neutrale und faire Betrachtung durch mich als Führungskraft“, so Wiegand.
Dazu gehört, zunächst nüchtern zu prüfen, ob die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter die Erwartungen erfüllt. Werden Absprachen eingehalten? Läuft die Kommunikation zuverlässig? Passt die Leistung zur Rolle? Erst wenn diese Grundlagen geklärt sind, lässt sich beurteilen, wo die eigenen Gefühle beginnen. Wiegand bringt es auf den Punkt: „Ich muss mein Gefühl von dem trennen, was die Person in ihrer Rolle tatsächlich leistet.“
Damit diese Trennung gelingt, braucht es etwas Ruhe und Distanz zum Moment. In der Situation selbst reagieren viele impulsiver, als sie denken. Wiegand rät: „Es ist wichtig, Abstand zu gewinnen und die Situation am Abend oder dem nächsten Tag noch einmal anzuschauen. Mit etwas zeitlichem oder räumlichem Abstand lässt sich viel besser reflektieren, was mich genau triggert und ob es ein einmaliger Moment oder ein Muster ist.“
Dieser Abstand hilft auch zu verstehen, warum eine bestimmte Person Antipathie auslöst. Manchmal erinnert sie an jemanden aus der Vergangenheit – etwa durch ähnliche Kleidung, Stimme oder Ausdrucksweise. Manchmal nerven Eigenarten, die man als Grenzüberschreitung deutet, etwa eine als zu lässig empfundene Sprache. Oder unterschiedliche Temperamente führen zu Missverständnissen. Wiegand sagt: „Ein Mitarbeiter, der mich keines Blickes würdigt und Gesprächen aus dem Weg geht, ist vielleicht sehr schüchtern. Ich fasse sein Verhalten aber fälschlicherweise als arrogant auf.“
Sie verweist auf das Schreibtisch-Beispiel: „Ich habe früher gelernt, dass man nur an einem aufgeräumten Schreibtisch produktiv arbeiten kann. Deswegen hat mich der unaufgeräumte Schreibtisch an den Rand meiner Toleranz gebracht.“
Wiegand betont, dass dieser Schritt nicht leicht ist: „Das ist eine große Herausforderung. Dafür braucht es Übung und Reflexionsfähigkeit.“
Erst wenn klar ist, was das Gefühl auslöst, folgt der nächste Schritt: herauszufinden, ob nur man selbst Schwierigkeiten mit der Person hat oder ob sich im Team ein Muster zeigt.
Schritt 2: Beobachtung
Im zweiten Schritt geht es darum zu verstehen, ob nur du selbst Schwierigkeiten mit der Person hast oder ob auch im Team Spannungen spürbar sind. Oft zeigt sich das schon lange, bevor jemand etwas offen anspricht. Wiegand sagt: „Man merkt an der Atmosphäre schnell, ob auch andere Schwierigkeiten haben, lange bevor Beschwerden laut werden.“
Das kann sich darin zeigen, dass sich Kolleginnen und Kollegen zurückziehen, Absprachen nicht mehr funktionieren oder jemand bei gemeinsamen Aktivitäten außen vor bleibt. Auch kleine Reibungen können Hinweise sein, etwa wenn sich Teammitglieder weniger mit einer Person abstimmen oder sich sichtbar unwohl fühlen.
In diesem zweiten Schritt solltest du sensibel vorgehen, betont Wiegand. Wenn das Team merkt, dass du eine bestimmte Person nicht magst, kann sich die Dynamik schnell verschieben. Entweder verliert das Teammitglied an Rückhalt, weil andere sich an deiner Haltung orientieren. Oder das Team stellt sich hinter die Person und gegen dich. Beide Szenarien beeinträchtigen die Zusammenarbeit und schwächen die Leistung des gesamten Teams.
Deshalb rät Wiegand: „Im Team würde ich das nicht ansprechen, weil sich sonst schnell Koalitionen bilden. Es geht darum, mit einzelnen Teammitgliedern zu sprechen und die Summe der Eindrücke zu verstehen.“ So lässt sich unterscheiden, ob die eigene Antipathie das Bild verzerrt oder ob tatsächlich Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit bestehen.
Schritt 3: Kommunikation
Wenn das Verhalten einer Person die Zusammenarbeit beeinträchtigt, führt kein Weg an einem Gespräch vorbei. Entscheidend ist dabei der richtige Moment. Wiegand sagt: „Das Wichtigste ist, dass du als Führungskraft immer professionell bleibst. Niemals mit jemandem sprechen, wenn du aufgewühlt bist, denn das führt zu Anschuldigungen, die du später bereust.“
In diesem Gespräch sollten Führungskräfte klar benennen, was genau vorgefallen ist. „Wenn du über Fehlverhalten sprichst, ist es wichtig, konkrete Situationen und Zeitpunkte zu nennen. Verlasse dich nicht nur auf eigene Gefühle und Hörensagen“, so Wiegand.
Um Orientierung zu geben, empfiehlt sie einfache Gesprächsstrukturen wie das W-W-W-Modell.
Dabei schildern Führungskräfte nacheinander:
• was sie wahrgenommen haben
• welche Wirkung das Verhalten hatte
• welchen Wunsch sie für die Zukunft haben
So lässt sich zum Beispiel erklären, dass ein unorganisierter Schreibtisch dazu führt, dass niemand die richtigen Unterlagen findet, wenn die Person krank ist, oder dass Verspätungen entstehen, weil Notizen nicht auffindbar sind. Wiegand: „Zum Schluss erklären Sie dem Mitarbeiter, wie er sein Verhalten ändern muss. Fragen Sie ihn, was er dafür braucht, und vereinbaren Sie konkrete Ziele.“
Wichtig ist für sie auch, Gefühle nicht auszublenden, sondern sauber einzuordnen. „Wenn die Gefühle stark sind, darf ich das sagen. Zum Beispiel: Das ärgert mich.“
Schritt 4: Perspektivwechsel
Im letzten Schritt nimmst du eine andere Sicht auf den Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin ein. Weg von „Was mag ich an dieser Person nicht?“ und hin zu „Was mag ich an ihr oder ihm?“ Dabei geht es nicht darum, deine Antipathie wegzuzaubern, sondern sie einzuordnen und professionell damit umzugehen. Wiegand sagt: „Es kann sein, dass man das Gefühl nie komplett los wird.“ Das sei auch kein realistisches Ziel. Wichtiger sei, zu verstehen, was die Abneigung auslöst.
Gleichzeitig lohnt es sich zu prüfen, welche Stärken in einem Verhalten liegen können, das zunächst irritiert. Wiegand beschreibt das Beispiel ihres früheren Mitarbeiters: „Der Mitarbeiter mit dem unaufgeräumten Schreibtisch war wahnsinnig kreativ und hatte innovative Ideen, die das Unternehmen nach vorn gebracht haben.“ Sein Chaos war Teil seiner Arbeitsweise. „Er brauchte das Chaos, um kreativ denken zu können.“
Manchmal hilft es auch, Aufgaben so anzupassen, dass individuelle Arbeitsweisen besser zur Geltung kommen. „Kann ich seine Rolle verändern, sodass nicht alle auf diesen unaufgeräumten Schreibtisch angewiesen sind. Kann ich etwas tun.“ So kann aus einer anfänglichen Irritation ein konstruktiver Umgang werden.
Und wenn du die Eigenschaft partout nicht positiv sehen kannst? Dann rät Wiegand, sich auf etwas anderes zu fokussieren, das Sie an ihm oder ihr mögen. „Die stille Mitarbeiterin, die du als arrogant wahrnimmst, ist dafür möglicherweise ein wichtiger Teil des Teams und agiert beruhigend in Konfliktsituationen.“ Wiegand empfiehlt, die eigene Akzeptanz auszuweiten, so weit wie es möglich ist. Der Perspektivwechsel ist also kein Schönreden, sondern ein bewusster Versuch, das Gesamtbild zu sehen und die Rolle der eigenen Gefühle darin zu verstehen.
Wenn die Antipathie bleibt
Bleibt die Antipathie bestehen, bedeutet das nicht automatisch, dass sich die Wege trennen müssen. Entscheidend ist, ob das Verhalten der Person dem Team oder dem Unternehmen schadet. Wiegand sagt: „Ich kann niemanden kündigen, weil ich ihn nicht mag. Entscheidend ist, ob das Verhalten dem Team oder Unternehmen schadet.“
Wenn sich trotz Gesprächen nichts verändert, braucht es klare Schritte. In kleineren, inhabergeführten Betrieben ist das oft kein formales HR-Verfahren, sondern ein strukturierter Prozess: ein weiteres Gespräch, klare Erwartungen, feste Fristen und eine Vereinbarung, die für beide Seiten nachvollziehbar ist. Wichtig ist, dass diese Schritte sachlich bleiben und gut dokumentiert werden.
Werden Absprachen dauerhaft nicht eingehalten oder bleibt das Verhalten für das Team belastend, müssen Führungskräfte konsequent handeln. Dann geht es nicht mehr um Antipathie, sondern um die Frage, ob die Person für die Rolle geeignet ist.
Zur Führungsrolle gehört aber auch, die eigenen Grenzen zu akzeptieren. „Ich bin als Führungskraft kein fehlerloser Mensch. Ich habe Gefühle und auch meine eigenen Schwachstellen. Entscheidend ist, damit verantwortungsvoll umzugehen und mir Hilfe zu holen, bevor eine Situation kippt.“
Antipathie ist also kein Makel. Entscheidend ist, wie professionell Führungskräfte damit umgehen und ob sie bereit sind, Gefühl und Verhalten sauber zu trennen. Wer diese Haltung einnimmt, schafft Stabilität – für sich selbst und für das gesamte Team
Ulla Wiegand ist seit 20 Jahren selbstständige Coachin und Trainerin. Ihre Schwerpunkte sind Führungspräsenz, Kompetenz und Wirkung.
