Frau Starker, Sie haben ein Buch über Zuversicht geschrieben. Was verbinden Sie mit diesem Begriff?
Von Haus aus bin ich ein zuversichtlicher Mensch – ich komme aus dem Rheinland. Aber im vergangenen Jahr habe ich gemerkt, dass die allgemeine Krisenstimmung etwas mit mir macht. Auch bei meinen Klienten in der Beratung und im Coaching habe ich beobachtet, wie sie sorgenvoller wurden. Ich habe mich gefragt, was die Antwort auf dieses Jammern und den Stress sein könnte. Irgendwann bin ich bei der Zuversicht gelandet. Verkürzt könnte man sagen: Zuversicht ist ein Tun. Sie besteht aus den vier Faktoren Resilienz, Hoffnung, Optimismus und Selbstwirksamkeit.
Hoffnung zu haben und optimistisch zu sein, reicht Ihnen nicht?
Zu hoffen, dass irgendetwas passiert oder irgendjemand kommt, der all die Herausforderungen löst, ist mir zu passiv. Ich bin traumapädagogisch ausgebildet, daher weiß ich, dass es in der seelischen Verarbeitung von Krisen einen großen Unterschied macht, selbst etwas zu tun und sich wirksam zu fühlen. Optimismus ist eine Grundhaltung, mit der ich durchs Leben gehe. Doch das Ausmaß und die Dichte der Krisen haben meinen Optimismus ins Wanken gebracht. Ich bräuchte Anhaltspunkte, die mich optimistisch stimmen, aber die sind gerade schwer zu finden. Man fühlt sich eher wie in einer endlosen Geisterbahnfahrt.
Das Bild der Geisterbahn verwenden Sie auch in Ihrem Buch. Was meinen Sie damit?
Man sitzt in einem ruckeligen Wagen und weiß nicht, was auf einen zukommt – aber es wird gruselig, so viel ist klar. Unser Gehirn hat eine Rückspiegelfunktion. Vereinfacht gesagt, fragt es sich: Haben wir so eine Situation schon einmal erlebt? Viele der aktuellen Krisen und ihre wechselseitigen Abhängigkeiten sind neu für uns, wir können kaum auf Erfahrungen zurückgreifen. Deswegen gibt es diese große Verunsicherung. Das Hirn hat außerdem einen Vorhersagemodus, unter anderem, um Stereotype zu bilden und um uns abzusichern. Es rechnet sich also aus: Wenn wir permanent Krisen erleben, lauert wahrscheinlich hinter der nächsten Ecke eine weitere Krise. Wir fangen an, unsere Wahrnehmung auf diese Dauer-Geisterbahn zu fokussieren. Das sollten wir unbedingt unterbrechen und unsere Aufmerksamkeit gezielt auf etwas anderes lenken.
Wie gelingt das?
Ich werde in letzter Zeit häufig gefragt: Darf ich einfach weggucken bei all dem Leid und den Krisen? Was bin ich dann für ein Mensch? Das ist in der Tat nicht leicht. Aber wenn ich schockiert auf der Couch sitze, geht es niemandem in einem Krisengebiet besser. Ich kann Mitgefühl zeigen und Geld spenden, damit vor Ort Hilfe geleistet wird. So bin ich zumindest mittelbar wirksam. Und dann muss ich schauen, was in meinem eigenen Möglichkeitsraum liegt – und meine Aufmerksamkeit dorthin lenken. So ändere ich nicht die Welt. Aber ich erlebe sie anders und bleibe gestaltend und aktiv für die von mir beeinflussbaren Dinge. Und das wiederum führt dazu, dass der kognitive Teil meines Gehirns aktiv bleibt und ich – idealerweise gemeinsam mit anderen – schlaue Lösungen entwickeln kann.
Das eine ist, wie ich persönlich auf Krisen reagiere. Aber wie gehe ich als Unternehmer oder Unternehmerin damit um, wenn das Team voller Sorgen ist?
Ich habe mich mit der Forschung von Simone Kauffeld zu sogenannten Jammer-Spiralen beschäftigt. Sie hat untersucht, was passieren kann, wenn jemand anfängt zu jammern. Der Nächste sagt dann: „Stimmt, es ist ganz, ganz schlimm.“ Der Dritte pflichtet bei: „Ich finde es auch furchtbar.“ Und beim Vierten ist es dann ganz schrecklich. Wir konstruieren uns auf diese Weise unsere Wirklichkeit.
Jammern breitet sich also aus und verändert unsere Wahrnehmung.
Es gibt eine Ansteckungslogik bei Stress und Jammern. Im vergangenen Jahr haben wir in einer Studie bei mehr als 1000 Mitarbeitenden und Führungskräften gemessen, inwieweit die allgemeine Krisenstimmung in ihren Unternehmen angekommen ist. Drei Viertel haben gesagt, sie bemerken die schlechte Stimmung. Ein nicht geringer Anteil dieser Menschen sagte aber auch, dass ihr Unternehmen selbst gar nicht von den Krisen betroffen sei. Das heißt, es gibt Phantomschmerzen: Die Stimmung ist schlecht, obwohl es den Unternehmen gut geht.
Was hilft dagegen?
Es gibt derzeit einen Abgesang nach dem anderen auf die deutsche Wirtschaft. Wir reden uns förmlich in diese Probleme hinein. Ich will nicht sagen, dass es keine gibt. Aber sich ununterbrochen damit zu befassen, wie schrecklich alles ist, macht uns nicht besser. Es führt dazu, dass wir reagieren, anstatt proaktiv zu handeln und zukunftsorientiert zu gestalten. Wir brauchen einen radikalen Fokus auf das Mögliche, um wirksam Einfluss nehmen zu können.
Wie kann ich diesen Blick aufs Mögliche trainieren?
Die Italiener sagen ja gern mal: „Basta“, also „Schluss jetzt!“. Das können wir uns abgucken. Fängt das Team an zu jammern? Oder ich selbst? Dann hilft es, sich zu fragen: Können wir gerade etwas an der Situation ändern? Wenn nein, weg mit dem Gedanken. Basta! Und wenn doch, sollten wir uns fragen: Was können wir tun? Wenn wir das Jammern trainieren, wird der Jammermuskel immer größer. Wenn wir hingegen die Fokussierung auf den Möglichkeitsraum trainieren, wird dieses Denken immer größer. Wir brauchen mehr Basta-Kompetenz.
Was kann ich als Unternehmerin oder Unternehmer noch tun, um gut durch Krisen zu kommen?
Drei Faktoren sind dabei bemerkenswert – das ist das Ergebnis einer US-amerikanischen Langzeitstudie von Jim Collins und anderen Wissenschaftlern, die wir uns für das neue Buch angeschaut haben. Zum einen hatten die Führungsmannschaften eine hohe innere Stabilität, ein ausgeprägtes Werteverständnis und eine gute Selbstführung. Das heißt, die Chefebene ist nicht in Stress und Aktionismus verfallen. In vielen der von uns befragten Unternehmen konnten wir anhand der Ergebnisse sehen, dass Arbeit deutlich aktionistischer geworden ist. Viele Führungskräfte erleben die Krise so intensiv, dass sie permanent die Richtung ändern und so die ganze Organisation schütteln. Das verunsichert, senkt Produktivität und Selbstwirksamkeitserleben gleichermaßen und erschöpft.
Was sind die beiden anderen Faktoren?
Die Unternehmen, die richtig gut durch Krisen und Komplexität steuerten, haben sich sehr stark fokussiert. Es gab dort nicht mehr 40 Veränderungen oder strategische Initiativen, wie wir es in deutschen Unternehmen aktuell messen, sondern nur noch einige wenige. Die Veränderungen, die diese Unternehmen angestoßen haben, wurden auch erfolgreich abgeschlossen, was der dritte Faktor bei der erfolgreichen Steuerung in Krisen ist. In Deutschland scheitern mehr als 80 Prozent aller Veränderungsprozesse. Bei einer von mir durchgeführten Meta-Analyse zu Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren wurde sehr schnell klar, dass wir eigentlich wissen, wie es gehen könnte, aber Unternehmen immer wieder die gleichen Fehler machen: zu viele Initiativen, nicht fokussiert, zu wenig Ressourcen.
Wann ist ein Unternehmen robust und überlebensfähig?
In einem gesunden Unternehmen geht es bedeutend weniger um Macht oder Positionen. Wissen und Kompetenz haben dagegen einen hohen Wert. Die Menschen dürfen in solchen Organisationen nach Könnerschaft Entscheidungen treffen. Außerdem sind die Prozesse auf Nachhaltigkeit angelegt, also nicht an Jahres- oder Managementzyklen orientiert, sondern am Wirtschaften für die Zukunft. Das unterscheidet im Übrigen häufig auch familiengeführte von managementgeführten Unternehmen. Aus meiner Sicht sind die familiengeführten Unternehmen deswegen eher in der Lage, gut durch die Krisen zu kommen – während die anderen es oft nur über Kapital mit immensen Reibungs- und Opportunitätskosten schaffen.
Wie zuversichtlich schauen Sie in die Zukunft, Frau Starker?
Ich glaube an Menschen und ihre Innovationskraft, deswegen bin ich meistens zuversichtlich. Mein Vater hat – obwohl er Pilot war – einige Erfindungen gemacht und Patente angemeldet, um über technische Innovationen dem Klimawandel zu begegnen. Sein Leitspruch lautete: Wenn man die Menschen lässt, erfinden sie die Lösungen von morgen. Es gibt so viele gute Lösungen – auch und vor allem im Mittelstand. Wir wissen nur oft nicht davon. Ich wünsche mir, dass diese gelingenden Beispiele mehr mediale und politische Aufmerksamkeit bekommen.
Vera Starker ist Wirtschaftspsychologin, Organisationsberaterin und Co-Founderin des Berliner Think Tanks Next Work Innovation. Gemeinsam mit Katharina Roos hat sie das Buch "Zuversicht. Die neue Führungskraft" veröffentlicht (Vahlen, 285 Seiten, 29,80 Euro).
