Verjährung Urlaubsanspruch
Nach wegweisendem Urteil: So müssen Arbeitgeber Beschäftigte über Urlaub aufklären

Bisher galt: Nicht genommene Urlaubstage verfallen grundsätzlich nach drei Jahren. Das hat das Bundesarbeitsgericht jetzt anders entschieden. Was Arbeitgeber jetzt beachten müssen.

, von

Verjährung Urlaubsanspruch
© ismael juan salcedo / photocase.de

101 Resturlaubstage hatte eine Steuerfachangestellte angesammelt, vor über zehn Jahren und bei einem früheren Arbeitgeber. Das Unternehmen fand, dass der Urlaub längst verjährt sei. Doch das Bundesarbeitsgericht hat nun anders entscheiden (9 AZR 541/15). Die Frau muss mit rund 23.000 Euro für den nicht genommenen Urlaub entschädigt werden. Der Arbeitgeber hatte es versäumt, seine Beschäftigten explizit und rechtzeitig darauf hinzuweisen, die freien Tage zu nehmen.

Das Urteil hat gravierende Auswirkungen auf die betriebliche Praxis. Was Unternehmer jetzt beachten müssen, erklärt Kathrin Bürger, Arbeitsrechtlerin in der Kanzlei Advant Beiten in München.

Ändert das Urteil grundsätzlich die Urlaubsregelung in den Betrieben?

Nein. Der vereinbarte Urlaub ist weiterhin im jeweiligen Kalenderjahr zu nehmen. Sollten betriebliche (hoher Arbeitsaufwand) oder personenbedingte Gründe dagegensprechen (Krankheit des Mitarbeiters), dann kann der Urlaub noch bis zum 31. März des Folgejahres genommen werden. Wenn er bis dahin nicht genommen wurde, verfällt er. Doch das gilt nur, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer darauf hinweist, den Urlaub bis zu diesem Datum zu nehmen.

Wenn kein Hinweis an die Arbeitnehmer erfolgt worden war, hatten sich Arbeitgeber auf die Verjährungsfrist berufen. Diese hat das Bundesarbeitsgericht aber nun gekippt.

Wie muss der Arbeitgeber auf den Urlaubsanspruch hinweisen?

Hier hat das Bundesarbeitsgericht bereits im Jahr 2019 geurteilt: Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer aktiv dazu auffordern, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. „Sich einfach nur auf den Arbeitsvertrag verlassen, reicht nicht“, sagt Anwältin Bürger. Dieses Auffordern muss in einer nachvollziehbaren Art und Weise geschehen, wie es heißt, also schriftlich, per Brief oder E-Mail.

Wichtig: In dieser Mitteilung reicht es nicht aus, den Mitarbeiter darüber zu informieren, dass er noch eine bestimmte Anzahl Urlaubstage hat. Vielmehr muss er ausdrücklich dazu aufgefordert werden, diesen Urlaub auch im besagten Zeitraum zu nehmen. So etwas kann, muss aber nicht individualisiert erfolgen, auch eine Sammelmail an die komplette Belegschaft ist möglich. „Wichtig ist, dass der Arbeitgeber nachweisen kann, eine solche Aufforderung verschickt zu haben“, mahnt Juristin Bürger.

Was ist der beste Zeitpunkt, für diese Aufforderung?

„Es empfiehlt sich, so eine Mitteilung zu Beginn des dritten Quartals zu verschicken“, rät Kathrin Bürger. Dann bleibe den Mitarbeitern genügend Zeit, sich zu orientieren. Der Arbeitgeber wiederum kann für den Rest des Jahres einen Urlaubsplan erstellen.

Verfällt der Urlaub, wenn ihn der Arbeitnehmer trotz Aufforderung nicht nimmt?

Sollte der Beschäftigte einfach keine Lust haben, Urlaub zu machen, betriebliche Belange oder persönliche Gründe des Arbeitnehmers nicht entgegenstehen und der Arbeitnehmer überdies vom Arbeitgeber zutreffend informiert worden sein, dann verfällt er. Doch wenn der Urlaub aus den schon erwähnten betrieblichen oder personenbedingten Gründen nicht genommen werden kann, muss geklärt werden, ob er verjährt.

Für Klarheit in solchen Fällen sorgen dann wieder die Arbeitsgerichte. Heinrich Kiel, Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht, sagte gleich nach seinem Urteilsspruch: „Es wird nicht die allerletzte Entscheidung sein zum Urlaubsrecht.“

Müssen Arbeitgeber jetzt eine Klagewelle befürchten?

„Nein“, sagt Juristin Bürger. Die Hürde, in einem laufenden Arbeitsverhältnis zu klagen, sei hoch. Denn wenn ein Arbeitnehmer täglich in seinen Betrieb geht, wird er sich schwertun, seinen Arbeitgeber zu verklagen, weil Urlaubstage aus dem Jahr 1997 oder noch früher nicht genommen worden sind. Anders sieht das aus bei Mitarbeitenden, die längst aus dem Unternehmen ausgeschieden sind, und noch Urlaubsansprüche haben – so wie in dem verhandelten Fall am Bundesarbeitsgericht. Hier drohen in der Tat einige Prozesse, so Bürger.

Was die Arbeitsrechtlerin jedoch auch prognostiziert: „Es werden jetzt einige Trittbrettfahrer ihr Glück versuchen.“ Wenn ein Beschäftigter sowieso mit seinem Arbeitgeber streitet, etwa wegen einer Kündigung, dann macht er in dem Aufwasch auch noch Urlaubsansprüche geltend.

In eigener Sache
Machen ist wie wollen, nur krasser
Machen ist wie wollen, nur krasser
Die impulse-Mitgliedschaft - Rückenwind für Unternehmerinnen und Unternehmer

Wenn ein Arbeitnehmer auf den vollen Urlaub verzichtet hat und dazu jahrelang schweigt, hat er damit nicht seine Zustimmung gezeigt?

Genau solche Punkte müssen noch gerichtlich geklärt werden. Doch die Arbeitsrechtlerin Kathrin Bürger prognostiziert, dass die Gerichte nicht entscheiden werden, dass Arbeitnehmer durch Schweigen ihre Zustimmung geben. „Es werden meist sehr arbeitnehmerfreundliche Urteile gefällt.“

Muss der Arbeitgeber die Urlaubszeiten seiner Mitarbeiter über einen längeren Zeitraum dokumentieren?

Der Arbeitgeber ist dazu nicht verpflichtet, aber eine sorgfältige Dokumentation ist ratsam, so Bürger. Das funktioniere gut über die Zeiterfassung. „Oder ich erfasse in einem anderen System wenigstens den Urlaub, wie die meisten Arbeitgeber dies sowieso tun.“

Doch etliche Arbeitgeber werden keine Dokumentation mehr haben, ob ihre Mitarbeiter etwa in den neunziger Jahren ihre Urlaube komplett genommen haben. Sie können nur hoffen, dass es darüber nicht zum Streit mit aktuellen oder ehemaligen Beschäftigten kommt. „Dann besteht ein massives Problem für beide Seiten, weil man auch vor dem Arbeitsgericht Nachweise erbringen muss“, so Bürger.

Die Expertin
Dr. Kathrin Bürger ist Partnerin bei Advant Beiten in München und Mitglied der Praxisgruppe Arbeitsrecht. Sie studierte Rechtswissenschaften an der Universität Würzburg und machte in New York ihren Master. Seit 2021 wird die Arbeitsrechtlerin in der weltweiten Datenbank "Best Lawyers" geführt.

Wie können Unternehmen Rechtstreite künftig vermeiden?

Indem sie eine Firmenkultur und eine Arbeitsorganisation schaffen, die ermöglicht, dass sämtliche Mitarbeiter ihre Urlaube fristgerecht nehmen können. „Ein Steuerberater weiß doch, dass er zum Jahresende viel zu tun hat“, sagt Juristin Bürger. Daher lautet ihr Appell an die Unternehmer: Stellt frühzeitig Urlaubspläne auf.

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts wird als spektakulär bezeichnet. Kommt es überraschend?

Der aktuelle Rechtsspruch des Bundesarbeitsgerichts zur Verjährung von Urlaubsansprüchen ist nur die Bestätigung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom September dieses Jahres. Die Luxemburger Richter urteilten vor zwei Monaten, dass der Anspruch auf Resturlaub nach drei Jahren nur dann verjährt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer darauf hingewiesen hat, seinen Urlaub zu nehmen. EuGH-Entscheidungen haben eine sogenannte Indizwirkung, sagt die Arbeitsrechtlerin Kathrin Bürger, „sie wirken nicht direkt“. Heißt: Die jeweiligen Gerichte der EU-Mitgliedsländer müssen solche europäischen Urteile noch bestätigen, das haben die Erfurter Richter nun mit ihrem Urteil getan.

101 Resturlaubstage hatte eine Steuerfachangestellte angesammelt, vor über zehn Jahren und bei einem früheren Arbeitgeber. Das Unternehmen fand, dass der Urlaub längst verjährt sei. Doch das Bundesarbeitsgericht hat nun anders entscheiden (9 AZR 541/15). Die Frau muss mit rund 23.000 Euro für den nicht genommenen Urlaub entschädigt werden. Der Arbeitgeber hatte es versäumt, seine Beschäftigten explizit und rechtzeitig darauf hinzuweisen, die freien Tage zu nehmen. Das Urteil hat gravierende Auswirkungen auf die betriebliche Praxis. Was Unternehmer jetzt beachten müssen, erklärt Kathrin Bürger, Arbeitsrechtlerin in der Kanzlei Advant Beiten in München. Ändert das Urteil grundsätzlich die Urlaubsregelung in den Betrieben? Nein. Der vereinbarte Urlaub ist weiterhin im jeweiligen Kalenderjahr zu nehmen. Sollten betriebliche (hoher Arbeitsaufwand) oder personenbedingte Gründe dagegensprechen (Krankheit des Mitarbeiters), dann kann der Urlaub noch bis zum 31. März des Folgejahres genommen werden. Wenn er bis dahin nicht genommen wurde, verfällt er. Doch das gilt nur, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer darauf hinweist, den Urlaub bis zu diesem Datum zu nehmen. Wenn kein Hinweis an die Arbeitnehmer erfolgt worden war, hatten sich Arbeitgeber auf die Verjährungsfrist berufen. Diese hat das Bundesarbeitsgericht aber nun gekippt. Wie muss der Arbeitgeber auf den Urlaubsanspruch hinweisen? Hier hat das Bundesarbeitsgericht bereits im Jahr 2019 geurteilt: Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer aktiv dazu auffordern, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. „Sich einfach nur auf den Arbeitsvertrag verlassen, reicht nicht“, sagt Anwältin Bürger. Dieses Auffordern muss in einer nachvollziehbaren Art und Weise geschehen, wie es heißt, also schriftlich, per Brief oder E-Mail. Wichtig: In dieser Mitteilung reicht es nicht aus, den Mitarbeiter darüber zu informieren, dass er noch eine bestimmte Anzahl Urlaubstage hat. Vielmehr muss er ausdrücklich dazu aufgefordert werden, diesen Urlaub auch im besagten Zeitraum zu nehmen. So etwas kann, muss aber nicht individualisiert erfolgen, auch eine Sammelmail an die komplette Belegschaft ist möglich. „Wichtig ist, dass der Arbeitgeber nachweisen kann, eine solche Aufforderung verschickt zu haben“, mahnt Juristin Bürger. Was ist der beste Zeitpunkt, für diese Aufforderung? „Es empfiehlt sich, so eine Mitteilung zu Beginn des dritten Quartals zu verschicken“, rät Kathrin Bürger. Dann bleibe den Mitarbeitern genügend Zeit, sich zu orientieren. Der Arbeitgeber wiederum kann für den Rest des Jahres einen Urlaubsplan erstellen. Verfällt der Urlaub, wenn ihn der Arbeitnehmer trotz Aufforderung nicht nimmt? Sollte der Beschäftigte einfach keine Lust haben, Urlaub zu machen, betriebliche Belange oder persönliche Gründe des Arbeitnehmers nicht entgegenstehen und der Arbeitnehmer überdies vom Arbeitgeber zutreffend informiert worden sein, dann verfällt er. Doch wenn der Urlaub aus den schon erwähnten betrieblichen oder personenbedingten Gründen nicht genommen werden kann, muss geklärt werden, ob er verjährt. Für Klarheit in solchen Fällen sorgen dann wieder die Arbeitsgerichte. Heinrich Kiel, Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht, sagte gleich nach seinem Urteilsspruch: „Es wird nicht die allerletzte Entscheidung sein zum Urlaubsrecht.“ [mehr-zum-thema] Müssen Arbeitgeber jetzt eine Klagewelle befürchten? „Nein“, sagt Juristin Bürger. Die Hürde, in einem laufenden Arbeitsverhältnis zu klagen, sei hoch. Denn wenn ein Arbeitnehmer täglich in seinen Betrieb geht, wird er sich schwertun, seinen Arbeitgeber zu verklagen, weil Urlaubstage aus dem Jahr 1997 oder noch früher nicht genommen worden sind. Anders sieht das aus bei Mitarbeitenden, die längst aus dem Unternehmen ausgeschieden sind, und noch Urlaubsansprüche haben – so wie in dem verhandelten Fall am Bundesarbeitsgericht. Hier drohen in der Tat einige Prozesse, so Bürger. Was die Arbeitsrechtlerin jedoch auch prognostiziert: „Es werden jetzt einige Trittbrettfahrer ihr Glück versuchen.“ Wenn ein Beschäftigter sowieso mit seinem Arbeitgeber streitet, etwa wegen einer Kündigung, dann macht er in dem Aufwasch auch noch Urlaubsansprüche geltend. Wenn ein Arbeitnehmer auf den vollen Urlaub verzichtet hat und dazu jahrelang schweigt, hat er damit nicht seine Zustimmung gezeigt? Genau solche Punkte müssen noch gerichtlich geklärt werden. Doch die Arbeitsrechtlerin Kathrin Bürger prognostiziert, dass die Gerichte nicht entscheiden werden, dass Arbeitnehmer durch Schweigen ihre Zustimmung geben. „Es werden meist sehr arbeitnehmerfreundliche Urteile gefällt.“ Muss der Arbeitgeber die Urlaubszeiten seiner Mitarbeiter über einen längeren Zeitraum dokumentieren? Der Arbeitgeber ist dazu nicht verpflichtet, aber eine sorgfältige Dokumentation ist ratsam, so Bürger. Das funktioniere gut über die Zeiterfassung. „Oder ich erfasse in einem anderen System wenigstens den Urlaub, wie die meisten Arbeitgeber dies sowieso tun.“ Doch etliche Arbeitgeber werden keine Dokumentation mehr haben, ob ihre Mitarbeiter etwa in den neunziger Jahren ihre Urlaube komplett genommen haben. Sie können nur hoffen, dass es darüber nicht zum Streit mit aktuellen oder ehemaligen Beschäftigten kommt. „Dann besteht ein massives Problem für beide Seiten, weil man auch vor dem Arbeitsgericht Nachweise erbringen muss“, so Bürger. [zur-person] Wie können Unternehmen Rechtstreite künftig vermeiden? Indem sie eine Firmenkultur und eine Arbeitsorganisation schaffen, die ermöglicht, dass sämtliche Mitarbeiter ihre Urlaube fristgerecht nehmen können. „Ein Steuerberater weiß doch, dass er zum Jahresende viel zu tun hat“, sagt Juristin Bürger. Daher lautet ihr Appell an die Unternehmer: Stellt frühzeitig Urlaubspläne auf. Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts wird als spektakulär bezeichnet. Kommt es überraschend? Der aktuelle Rechtsspruch des Bundesarbeitsgerichts zur Verjährung von Urlaubsansprüchen ist nur die Bestätigung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom September dieses Jahres. Die Luxemburger Richter urteilten vor zwei Monaten, dass der Anspruch auf Resturlaub nach drei Jahren nur dann verjährt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer darauf hingewiesen hat, seinen Urlaub zu nehmen. EuGH-Entscheidungen haben eine sogenannte Indizwirkung, sagt die Arbeitsrechtlerin Kathrin Bürger, „sie wirken nicht direkt“. Heißt: Die jeweiligen Gerichte der EU-Mitgliedsländer müssen solche europäischen Urteile noch bestätigen, das haben die Erfurter Richter nun mit ihrem Urteil getan.