Kein Lied wird auf Beerdigungen so häufig gespielt wie „My Way“ von Frank Sinatra: „I’ve lived a life that’s full | I traveled each and every highway | And more, much more than this | I did it my way.“
Ja, das ist kitschig, und trotzdem liebe ich dieses Lied. Es ist traurig, weil ein Leben zu Ende geht. Und gleichzeitig steckt in ihm Dankbarkeit und Zufriedenheit, weil jemand genau das Leben gelebt hat, das zu ihm gepasst hat. Das ist sehr schön. Und sehr selten. So zu leben und zu sein, wie man will, erscheint nur auf den ersten Blick einfach. Wäre es so leicht, würde es den jungen Mann nicht geben, der in den Familienbetrieb einsteigt, obwohl er doch Künstler werden wollte. Oder die ältere Frau, die in ihrer Ehe bleibt, obwohl der Mann sie schon seit Jahren langweilt.
Bin ich, wie ich sein will?
Vielleicht denken Sie nun: Betrifft mich nicht. Ich treffe meine Entscheidungen selbstbestimmt. Doch ist das wirklich so? Wir leben schließlich in einer Welt voller Erwartungen: Kunden, Mitarbeitende, die Familie, Geschäftspartner, Freunde – alle erwarten etwas von uns. Und man will ja niemanden enttäuschen, schon gar nicht sich selbst. Und die eigenen Erwartungen sind oft die größten. Man will im Job erfolgreich sein, etwas bewegen in der Welt, gutes Geld verdienen. Und ehe man sich versieht, arbeitet man 60 Stunden die Woche und hat keine Zeit mehr für eigene Hobbys oder Freunde, obwohl einem das doch früher wichtig war. Oder man macht kaum Sport, obwohl man sich in seinem Körper nicht mehr wohlfühlt. Oder man verbringt die Urlaube Jahr für Jahr im Robinson Club, obwohl man doch das Abenteuer liebt.
Das ist dann oft der Moment, in dem man beginnt, das gute Leben in die Zukunft zu schieben: „Ich werde wieder Zeit für Hobbys haben, wenn erst das Projekt abgeschlossen ist.“ „Ich werde das Abenteuer suchen, wenn erst die Kinder groß sind.“ Zumindest mir sind solche Gedanken nicht fremd.
Der richtige Moment, etwas zu ändern
Und sie sind gefährlich: „Die Kosten dafür, nicht authentisch zu leben, steigen mit jedem Tag, der vergeht“, schreibt der dänische Psychotherapeut und Managementtrainer Troels Mark Meyer in seinem Buch „The Art of Being Authentic“. Je länger wir einfach aushielten, desto größer werde das Unglücksgefühl. Und desto größer werde die Wahrscheinlichkeit, dass wir es irgendwann bereuen, einfach weitergemacht zu haben. Dass „My Way“ auf unserer Beerdigung nicht rührend klingen würde, sondern gelogen.
Es gibt daher nur einen Moment, in dem man anfangen kann, in sich hineinzuhören, wie man leben möchte – und den Mut zu finden, die Sache auch durchzuziehen, egal, was andere davon halten. Und dieser Moment ist genau jetzt.
Nicole Basel führt als Chefredakteurin die impulse-Redaktion. An dieser Stelle schreibt sie über Fragen, die sie als Chefin beschäftigen.
