Unsicherheit aushalten
Hurra, die Welt geht unter? Wie Sie gut mit schlechten Nachrichten umgehen

In den Nachrichten häufen sich schlechte Meldungen und Umfragen verraten, dass in Unternehmen die Stimmung sinkt. Ein Experte für positive Psychologie gibt Tipps, was Führungskräften jetzt hilft.

Aktualisiert am 7. November 2024, 19:19 Uhr, von Wiebke Harms, Wirtschaftsredakteurin

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Eine Person hat sich den Rollkragen ihres roten Pullovers über das Gesicht gezogen.
An manchen Tagen möchten sich auch Führungskräfte vor schlechten Nachrichten verstecken.
© Getty images / Francesco Carta fotografo

impulse: In den USA wird Donald Trump erneut zum Präsidenten gewählt und hier in Deutschland zerbricht die Ampel-Koalition. Was kann ich tun, wenn ich mich von den Nachrichten überwältigt fühle?
Christian Thiele:
Der erste wichtige Schritt ist, diesen Ärger, die Wut, die Hoffnungslosigkeit, die Angst, oder was auch immer ich gerade fühle, anzuerkennen.

Der Experte
Christian ThieleChristian Thiele ist Experte für positive Psychologie und Autor des Buchs „Positiv führen“. Seit 2009 unterstützt er Führungskräfte, Mitarbeiter und Organisationen mit Coachings, Trainings, Vorträgen, Teamentwicklungen und Konfliktklärungen.

Was nützt mir das?
In dem Moment, wo ich Begriffe für meine eigenen Empfindungen finde, kann ich sie wortwörtlich besser begreifen. Das bezeichnet man als emotionale Granularität: Je abgestufter mein persönlicher Farbkasten für die Schattierungen meines Zustandes ist, desto besser habe ich mich im Griff und desto weniger hat mich andersherum mein Affekt im Griff. Führungskräfte haben häufig Glaubenssätze, die ihnen Emotionen verbieten. Nach dem Motto: Emotionen sind bäh und haben auf der Arbeit nicht zu suchen.  Aber die Emotionen sind ein Richtungsanzeiger: Was brauche ich denn, woran fehlt es mir gerade?

Wie gelingt mir das, wenn ich gar nicht beschreiben kann, was ich fühle?
An der University of Yale haben Forscher eine App entwickelt, die ich ganz großartig finde. Sie heißt „How we feel“ und ist eine Art Tagebuch für Emotionen. Man kann dort aus einer Vielzahl von Begriffen wählen, wie man sich fühlt. So einen Check-in kann man auch mit Partnerinnen oder Partnern oder anderen Menschen machen, die einem nahestehen.

Viele sagen in unsicheren Zeiten, dass sie die Nachrichten nicht mehr ertragen können. Ist es besser, sie nicht zu lesen?
Ich sehe auch diesen Trend zum Eskapismus und ich finde, wir können uns das nicht leisten. Nicht nur als Verantwortliche in unseren Firmen müssen wir Bescheid wissen und uns organisieren. Sondern auch als informierte Bürgerinnen und Bürger. Aber die Frage ist natürlich, welche Kanäle ich benutze und welche Routinen ich mir angewöhne. Gerade in turbulenten Zeiten hilft es, die Aufmerksamkeit zu kanalisieren und zu fokussieren.

Wie kann das aussehen?
Ich zum Beispiel höre morgens Radio und lese Zeitung. Mittags lese ich ein halbe Stunde Nachrichtenportale oder ein paar Newsletter, von denen ich mich gut informiert fühle. Ich versuche mir eine Reihe glaubwürdiger Informationsquellen zusammenzustellen – und ich achte darauf, dass ich mich nicht bis spät in die Nacht durch Eilmeldungen anpingen lasse. Außerdem achte ich darauf, dass ich ganz bewusst positive Snacks in meinen Alltag einbaue.

Was meinen Sie damit?
Trotz aller Krisen gibt es immer auch positive Nachrichten und das sollten wir nicht vergessen. Ich suche mir in der Freizeit bewusst Momente, die mich aus der Negativität holen: Freunde anrufen, eine leckere Lasagne kochen, Musik hören, ins Kino oder zum Chor gehen oder das Laub rechen. Solche Momente von Entspannung, Freude oder Leichtigkeit geben Kraft, um im Arbeitsalltag als Führungskraft die Verantwortung zu übernehmen, die ich gegenüber Kunden, Mitarbeitenden oder Lieferanten habe.

Muss ich meine eigene Unsicherheit vor dem Team verbergen?
Führungskräfte können und sollten sagen, wenn Krisen sie beunruhigen oder aufwirbeln. Ich halte nichts davon, stoisch nach außen eine positive Ausstrahlung aufrechtzuerhalten. Es gibt den Begriff der toxischen Positivität, wenn man gar keine negativen Gefühle mehr zulässt. Nur über das Wetter zu sprechen, wirkt aufgesetzt. Aber sie sollten eben auch nicht in einen negativen Strudel abrutschen.

Wie setze ich das im Führungsalltag um?
Eine schöne Variante ist zum Beispiel, die negativen Gefühle zu Anfang eines Meetings zu thematisieren. Erst erkennen Sie an, dass Sie sich Sorgen machen. Dann fangen Sie die Stimmung ein, indem Sie in die Runde fragen, welche positiven Momente oder Nachrichten Teammitglieder teilen möchten. Das kann der Waldspaziergang vom Wochenende sein oder dass die Tochter das Radfahren gelernt hat. Das verhindert, sich gegenseitig mit der Negativität anzustecken.

Wie können Führungskräfte damit umgehen, wenn Teammitglieder sich durch schlechte Nachrichten von der Arbeit ablenken lassen?
Ein Weg ist, ihnen zu erklären, dass es diesen Strudel aus Negativität gibt und Ansteckung gibt. Im kommenden Wahlkampf wird sicher viel gestritten und sogar mit Dreck geworfen werden. Ich kann als Führungskraft mit meinem Team darüber sprechen, wie viel sich die Leute da reinziehen lassen wollen. Darüber hinaus kann ich im Team das Krisenempfinden kanalisieren und die Emotionen in eine aktive Richtung lenken. Das geht zum Beispiel, indem man an überstandene Krisen in der Unternehmensgeschichte erinnert. Gerade Familienunternehmen können sich häufig auf eine lange Geschichte zurückbesinnen. Oder man nutzt die herausfordernden Zeiten für Zukunftsszenarien. Gemeinsam zu hinterfragen, welche Chancen sich für das Unternehmen ergeben könnten oder welche ganz verrückten Sachen dem Team einfallen, hilft gegen Schockstarre.

Verunsichert das ein Team nicht noch mehr?
Viele Führungskräfte neigen dazu, für alles sofort eine Lösung parat haben zu wollen und schnell Entscheidungen treffen zu wollen. Und ja, zum Teil werden sie auch als weniger souverän wahrgenommen, wenn sie sich anders verhalten und erst einmal offen abwägen. Aber Chefinnen und Chefs müssen auch realistisch sein: Die Zeiten sind so schwer vorhersehbar, dass die 120-prozentige Goldrand-Lösung, die ein Problem für alle Ewigkeit löst, kein realistisches Ziel mehr sein kann. Es steht Führungskräften angesichts dessen besser, die eigene Unsicherheit zuzugeben und zu sagen: Lasst uns das probieren und zeitig nachsteuern, wenn es nicht wie erwünscht klappt.

Was aber, wenn das Team die starke Frau oder den starken Mann wünscht?
Ich kann den Wunsch nach einer starken Frau oder einem starken Mann in Zeiten von Verunsicherung nachvollziehen. Gleichzeitig arbeiten überall in deutschen Unternehmen so gut ausgebildete Menschen. Als Führungskraft wäre ich total doof, wenn ich deren Meinungen und Expertise nicht in Entscheidungen einbeziehe. Natürlich tragen die Führungskräfte am Ende die Verantwortung – aber zuerst tragen sie eben auch die Verantwortung, gute Diskurse anzustoßen und dann zuzuhören. Auch wenn ich in mir selbst die Sehnsucht nach dem starken Mann oder der starken Frau spüre, kann ich ihr versuchen zu widerstehen. Niemand kann zu 100 Prozent wissen, was die Zukunft bringt, auch der beste Vorstand nicht. Das zuzugeben ist viel gesünder, als Ambivalenz und Vieldeutigkeit auszuschließen. So ist die Welt einfach nicht. Leider – und auch zum Glück.

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