Innere Kündigung
Mitarbeiter machen nur noch Dienst nach Vorschrift? Daran könnte es liegen

Hat ein Teammitglied innerlich gekündigt, drohen gravierende Folgen fürs Unternehmen. Wie Sie eine innere Kündigung erkennen und was Sie dagegen tun können.

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Innere Kündigung
© Andrii Yalanskyi / iStock / Getty Images Plus / Getty Images

Innere Kündigung – was ist das eigentlich?

Dass Mitarbeitende phasenweise weniger Engagement zeigen und nicht bei jeder Zusatzaufgabe freudig die Hand heben, ist normal. Problematisch wird es, wenn die Motivation dauerhaft im Keller ist. Entwickelt ein Teammitglied eine permanente Null-Bock-Haltung und distanziert sich zunehmend von seiner Arbeit und anderen Teammitgliedern, sprechen Experten von einer inneren Kündigung.

„In der Regel haben sich die Betroffenen bewusst für das verringerte Engagement entschieden“, erklärt Nicole Scheibner, Psychologin, Coach und Mitautorin des iga-Reports „Engagement erhalten, innere Kündigung vermeiden“, eines Forschungsberichts der Initiative Gesundheit und Arbeit (IGA). Innere Kündigung wird häufig auch mit „Dienst nach Vorschrift“ umschrieben. Betroffene sind dauerhaft unmotiviert, desinteressiert und unzufrieden mit ihrer Tätigkeit. Sie ziehen sich zurück, bleiben etwa Sommerfesten oder Weihnachtsfeiern fern, lassen sich häufiger krankschreiben, sprechen zynisch über ihre Arbeit und den Arbeitgeber.

Wie viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland innerlich gekündigt haben, lässt sich aus dem aktuellen Gallup Engagement Index 2022 ableiten. Der Studie zufolge weisen 18 Prozent der Beschäftigten gar keine emotionale Bindung zu ihrem Arbeitgeber auf – und das setzen die Autoren mit einer inneren Kündigung gleich. Die Zahl der Arbeitnehmenden, die innerlich gekündigt haben, ist laut Gallup auf dem höchsten Stand seit zehn Jahren. 2021 lag der Wert noch bei 14 Prozent.

Wie können Führungskräfte Anzeichen für eine innere Kündigung erkennen?

Auch wenn sich eine innere Kündigung in der Regel im Verborgenen vollzieht, können Führungskräfte einige äußere Anzeichen beobachten. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zeigen weniger Einsatz und ziehen sich zurück. „Die Menschen werden stiller“, sagt Scheibner.

Diese Anzeichen könnten auch auf andere Probleme hindeuten, etwa eine psychosoziale Belastung oder eine psychische Erkrankung. Daher empfiehlt sie Führungskräften immer, die Beobachtungen ernst zu nehmen – aber auch ein bisschen abzuwarten und nicht gleich zu reagieren, wenn jemand einmal schlecht drauf sei. Hält sich die negative Stimmung über einen Zeitraum von mehreren Wochen, rät sie Führungskräften dringend, das Gespräch zu suchen. (Mehr dazu lesen Sie weiter unten unter dem Punkt „Lösungen“.)

Die Expertin
Nicole Scheibner ist geschäftsführende Partnerin des EO Instituts in Berlin. Ihre Schwerpunkte liegen in den Themenfeldern Führung, Zusammenarbeit in Teams und Gesundheit am Arbeitsplatz. Sie ist Arbeits- und Organisationspsychologin und Coach für Führungskräfte.

Nicole Scheibner und ihre Co-Autorinnen des iga-Reports haben einen Reflexionsbogen entwickelt: Er soll Führungskräften helfen, Anzeichen für innere Kündigung zu erkennen. Ziel ist es, ein umfassendes Bild von der Veränderung des beziehungsweise der Beschäftigten zu erhalten und die eigenen Eindrücke festzuhalten – und sich auch zu fragen, welchen Anteil man selbst an der Entwicklung haben könnte. „Die Antworten des Fragebogens stellen keine Fakten dar, sondern geben nur Anhaltspunkte, die im Gespräch mit der betroffenen Person besprochen werden sollten“, heißt es im Report. impulse-Mitglieder können eine ausdruckbare Version des Bogens hier herunterladen:

Zum Download: Innere Kündigung erkennen: Wie Sie merken, ob ein Mitarbeiter innerlich gekündigt hat

Ursachen: Warum gehen Menschen in die innere Kündigung?

Hinter einer inneren Kündigung stecken laut Nicole Scheibner eine Reihe enttäuschter Erwartungen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer gehen neben dem offiziellen Arbeitsvertrag auch eine unausgesprochene Vereinbarung ein, den „psychologischen Vertrag“. Unternehmen etwa fordern von ihren Mitarbeitenden Verlässlichkeit, Flexibilität und Loyalität. Im Gegenzug erwarten Beschäftigte zum Beispiel eine durch Respekt geprägte Beziehung, Entwicklungsmöglichkeiten und ein Aufgabenpensum, das zu schaffen ist.

„Es kann in Arbeitsbeziehungen zu Enttäuschungen und Fehlannahmen kommen“, erklärt die Psychologin. „Wenn Sie als Führungskraft nicht frühzeitig klären, dass bestimmte Erwartungen nicht erfüllt werden können, kann sich bei dem Beschäftigten großer Frust aufbauen.“

Schwierig sei auch, wenn Job und Mensch einfach nicht zusammenpassen, warnen die Autorinnen des iga-Reports: „So ist es beispielsweise für Menschen mit proaktiver Persönlichkeit eher unbefriedigend, in stark strukturierten Arbeitsfeldern mit wenigen Einflussmöglichkeiten tätig zu sein.“

Fehlverhalten von Führungskräften

Die schlechte Nachricht für Chefinnen und Chefs: Sehr häufig hängen die Enttäuschung und der Rückzug in die innere Kündigung mit dem Verhalten der Führungskraft zusammen. Das berichteten auch die meisten Personen, mit denen Scheibner für ihren Forschungsbericht sprach. So bauten sich beispielsweise negative Gedanken auf wie: „Ich ackere und ackere und keiner dankt es mir.“

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Mangelnde Anerkennung und Wertschätzung und fehlende Unterstützung lassen laut Nicole Scheibner besonders viel Frust entstehen. Häufig hätten sich Mitarbeitende zum Beispiel alleingelassen gefühlt mit einer Überforderung: „Es ist fatal, wenn jemand sagt: ‚Ich schaffe das hier nicht mehr‘, und die Führungskraft reagiert nicht.“ Als frustrierend wird auch wahrgenommen, wenn es zwischen dem Mitarbeiter und der Führungskraft zwischenmenschliche Probleme gebe und keine Bereitschaft signalisiert werde, diese Probleme aus der Welt zu räumen.

Ein weiteres klassisches Fehlverhalten sei zu wenig Führung. Etwa wenn Aufgaben nicht gut abgegrenzt und Prozesse nicht klar strukturiert sind und dadurch im Team Konflikte aufkommen. Strukturelle Veränderungen im Unternehmen können Mitarbeitende ebenfalls frustrieren. Doch auch dabei sei es am wichtigsten, dass die direkte Führungskraft kontinuierlich im Gespräch mit den Beschäftigten bleibe und die Veränderungen einordne. Es komme darauf an, welche Haltung sie selbst in Bezug auf die Veränderungen einnehme.

Lösungen: Was können Führungskräfte tun?

Nicole Scheibner erlebt immer wieder, dass Führungskräfte sich vor einem Gespräch scheuen, wenn ihnen bei Mitarbeitenden ein verändertes Verhalten auffällt. Viele seien unsicher, wie sie das Thema ansprechen sollen. Die Psychologin rät, wohlwollend in das Gespräch zu gehen: „Schildern Sie dem Mitarbeiter oder der Mitarbeiterin: So nehme ich dich aktuell wahr. So nehme ich wahr, wie sich dein Engagement entwickelt hat.“ Führungskräfte sollten nach möglichen Ursachen sowie nach der Sicht der betroffenen Person fragen und vor allem signalisieren, dass sie sich Sorgen machen – und gemeinsam mit der Person nach möglichen Lösungsansätzen suchen.

Wenn sich im Gespräch herausstellt, dass es in der Vergangenheit enttäuschte Erwartungen gab, sollten diese spätestens jetzt thematisiert werden. Die Psychologin rät, dabei nicht nur über Vergangenes (und eventuell nicht mehr Änderbares) zu sprechen, sondern den Fokus darauf zu lenken, was man in Zukunft ändern könne.

Der schlimmste Fehler sei es, gar nicht miteinander zu sprechen. „Trifft eine Person die Entscheidung, ihr Engagement komplett herunterzufahren,und erlebt dann, dass seitens der Führungskraft keinerlei Reaktion erfolge, ist dies ein fatales Signal und bestätigt letztlich die Person in ihrer Sicht“, so die Expertin.

Womöglich stoße man im ersten Gespräch bei dem frustrierten Gegenüber nur auf taube Ohren und Ablehnung. „Doch so haben Sie wenigstens schon einmal signalisiert, dass Sie bemerken, dass etwas nicht stimmt“, sagt Scheibner. Wenn jemand über viele Jahre innerlich gekündigt habe, werde sich die Person womöglich nicht mehr öffnen, da sie sich immer weiter zurückzieht.

Je eher eine Führungskraft eingreift, etwa wenn sie im vergangenen halben Jahr Veränderungen bemerkt habe, umso größer ist laut Scheibner die Chance, die Situation noch zu verändern. Wichtig sei dabei auch die Selbstreflexion der Führungskraft, denn: „Je eher ich auch als Führungskraft selbst bereit bin, einen Anteil an der Situation einzuräumen, etwa mögliche Versäumnisse, Arbeitsüberlastung, zu wenig Feedback oder Rückhalt, umso mehr wird auch der Beschäftigte bereit sein zu sagen: Da ist noch ein Weg zurück.“

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Innerer Kündigung vorbeugen

Vor allem präventiv können Führungskräfte sehr viel Einfluss nehmen, das sieht die Psychologin als gute Nachricht: „Sie können viel bewegen, wenn Sie nah an Ihrem Team dran sind“, sagt sie – wohl wissend, dass das nicht trivial ist für viele Chefinnen und Chefs, die im Arbeitsalltag stark durchgetaktet sind.

Sie rät, sich regelmäßig zu fragen:

  • Weiß ich, wie es meinen Leuten geht?
  • Sind wir genügend im Gespräch?
  • Bin ich ansprechbar?
  • Passt die Aufgabenmenge?
  • Braucht jemand Unterstützung?
  • Ist jemand über- oder unterfordert?
  • Vertrauen sich die Teammitglieder untereinander und mir als Führungskraft?

„Ist all das gegeben, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr gering, dass ich jemanden in eine innere Kündigung verliere“, so die Expertin.

Welche Folgen hat eine innere Kündigung?

Der Unternehmenserfolg leidet, wenn Mitarbeitende nicht die Leistung bringen, die sie eigentlich könnten – das liegt auf der Hand. Gefährlich ist aber auch, dass die innere Kündigung ansteckend sein kann. Denn oft beklagen sich die chronisch unzufriedenen Mitarbeiter bei Kollegen, anstatt mit ihrer Führungskraft über ihre Gefühlslage zu sprechen. „Häufig ergeben sich Ausstrahlungseffekte auf Kolleginnen und Kollegen“, heißt es im iga-Report. „Das kann ein Teamgefüge massiv stören oder gar zerstören“, sagt Nicole Scheibner. Deshalb sei es auch für das Team wichtig, die Situation im Blick zu behalten und gegenzusteuern. Denn wenn eine Person im Team innerlich kündigt, führe dies häufig zu Mehrbelastung und angespannter Stimmung.

Auch für den oder die Betroffen kann eine innere Kündigung schwerwiegende Folgen haben. „Die innere Kündigung ist keine Krankheit, macht aber in vielen Fällen krank“, sagt Nicole Scheibner. Betroffenen geht es oft psychisch schlecht, viele haben psychosomatische Probleme. Laut der Psychologin könne der Dauerfrust, der sich aus einer inneren Kündigung speist, auch die Entstehung einer Depression befördern.

Bestehende psychische Erkrankungen können sich auf die Motivation auswirken: Bei Menschen, die unter einer psychischen Erkrankung leiden, trübe sich häufig auch der Blick auf ihre Tätigkeit. Und das könne wiederum den Zustand einer inneren Kündigung begünstigen.

Warum suchen sich die chronisch Unzufriedenen keinen neuen Job?

Eine innere Kündigung verlaufe laut Scheibner in verschiedenen Phasen. Ausgangspunkt ist immer, dass der psychologische Vertrag ins Ungleichgewicht kommt, also dass eine Erwartung enttäuscht wurde und eine Unzufriedenheit entsteht. Häufig würden die betroffenen Personen dann versuchen, dagegen anzukämpfen und Gespräche suchen, um eine Veränderung zu bewirken. „In dieser Phase habe ich als Führungskraft eine gute Chance, Veränderungen zu bemerken und etwas zu bewirken“, so die Psychologin.

„Merken die Menschen jedoch, dass sie einfach nicht gehört werden – egal, wie sie sich drehen und wenden, fragen sie sich irgendwann: ‚Wie gehe ich mit dem Frust um?’“ In dieser Situation reagieren Menschen laut Scheibner sehr unterschiedlich. Manch einer kündige, manch eine verändere ihre Sichtweise auf die Situation – aus Sicht der Psychologin seien das die gesündeste Entscheidungen. Andere würden sich jedoch womöglich sagen: „Die Rahmenbedingungen sind, wie sie sind. Ich will meinen guten Tarifvertrag oder meine Pensionsansprüche nicht aufgeben, also bleibe ich trotz meiner Unzufriedenheit und sitze das aus.“ Bei anderen kann es die private Situation unmöglich machen, den Job aufzugeben.

Wie unterscheidet sich innere Kündigung von „Quiet Quitting“?

Im Jahr 2022 ging ein englischer Begriff viral, den viele mit der inneren Kündigung gleichsetzten: „Quiet Quitting“. Zunächst auf der Social-Media-Plattform TikTok und dann in zahlreichen Medien wurde über das Phänomen berichtet, dass Menschen bei der Arbeit bewusst ihr Engagement herunterfahren und nur noch Dienst nach Vorschrift machen.

Nicole Scheibner sieht jedoch entscheidende Unterschiede zur inneren Kündigung. „Beim ‚Quiet Quitting‘ geht es darum, dass jemand sagt: ‚Ich mache bei der Arbeit das, wofür ich bezahlt werde. Meine Arbeit erledige ich anständig, aber ich mache nicht mehr ständig Überstunden oder bin im Urlaub dauerhaft erreichbar‘“, erklärt die Psychologin. „Eine innere Kündigung hat eine andere Qualität. Da gibt es einen langen Frustrationsprozess und die bewusste Entscheidung, wirklich nur noch ein Minimum an Leistung zu bringen.“

Menschen, die sich fürs „Quiet Quitting“ entscheiden, mögen ihren Job in der Regel – sind allerdings der Ansicht, dass sich das Leben nicht nur um die Arbeit drehen sollte. Die Expertin erklärt diese Einstellung auch mit einem neuen Selbstbewusstsein unter Beschäftigten. Hinzu kämen die Erfahrungen vieler jüngerer Arbeitnehmer aus der Generation Z, dass sich die Elterngeneration im Job aufgerieben habe, kombiniert mit ständiger Erreichbarkeit und Entgrenzung. Die Entscheidung, sich nicht komplett für den Job aufzuopfern, sei eine Reaktion darauf.

Auch wenn Arbeitgeber über diese Haltung vermutlich nicht glücklich seien, müssten sie sich laut der Psychologin ein Stück weit darauf einstellen. „Viele gerade jüngere Menschen haben inzwischen ein anderes Selbstverständnis von Arbeit“, sagt sie.

Innere Kündigung - was ist das eigentlich? Dass Mitarbeitende phasenweise weniger Engagement zeigen und nicht bei jeder Zusatzaufgabe freudig die Hand heben, ist normal. Problematisch wird es, wenn die Motivation dauerhaft im Keller ist. Entwickelt ein Teammitglied eine permanente Null-Bock-Haltung und distanziert sich zunehmend von seiner Arbeit und anderen Teammitgliedern, sprechen Experten von einer inneren Kündigung. „In der Regel haben sich die Betroffenen bewusst für das verringerte Engagement entschieden“, erklärt Nicole Scheibner, Psychologin, Coach und Mitautorin des iga-Reports „Engagement erhalten, innere Kündigung vermeiden“, eines Forschungsberichts der Initiative Gesundheit und Arbeit (IGA). Innere Kündigung wird häufig auch mit "Dienst nach Vorschrift" umschrieben. Betroffene sind dauerhaft unmotiviert, desinteressiert und unzufrieden mit ihrer Tätigkeit. Sie ziehen sich zurück, bleiben etwa Sommerfesten oder Weihnachtsfeiern fern, lassen sich häufiger krankschreiben, sprechen zynisch über ihre Arbeit und den Arbeitgeber. Wie viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland innerlich gekündigt haben, lässt sich aus dem aktuellen Gallup Engagement Index 2022 ableiten. Der Studie zufolge weisen 18 Prozent der Beschäftigten gar keine emotionale Bindung zu ihrem Arbeitgeber auf – und das setzen die Autoren mit einer inneren Kündigung gleich. Die Zahl der Arbeitnehmenden, die innerlich gekündigt haben, ist laut Gallup auf dem höchsten Stand seit zehn Jahren. 2021 lag der Wert noch bei 14 Prozent. Wie können Führungskräfte Anzeichen für eine innere Kündigung erkennen? Auch wenn sich eine innere Kündigung in der Regel im Verborgenen vollzieht, können Führungskräfte einige äußere Anzeichen beobachten. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zeigen weniger Einsatz und ziehen sich zurück. „Die Menschen werden stiller“, sagt Scheibner. Diese Anzeichen könnten auch auf andere Probleme hindeuten, etwa eine psychosoziale Belastung oder eine psychische Erkrankung. Daher empfiehlt sie Führungskräften immer, die Beobachtungen ernst zu nehmen – aber auch ein bisschen abzuwarten und nicht gleich zu reagieren, wenn jemand einmal schlecht drauf sei. Hält sich die negative Stimmung über einen Zeitraum von mehreren Wochen, rät sie Führungskräften dringend, das Gespräch zu suchen. (Mehr dazu lesen Sie weiter unten unter dem Punkt „Lösungen“.) [zur-person] Nicole Scheibner und ihre Co-Autorinnen des iga-Reports haben einen Reflexionsbogen entwickelt: Er soll Führungskräften helfen, Anzeichen für innere Kündigung zu erkennen. Ziel ist es, ein umfassendes Bild von der Veränderung des beziehungsweise der Beschäftigten zu erhalten und die eigenen Eindrücke festzuhalten - und sich auch zu fragen, welchen Anteil man selbst an der Entwicklung haben könnte. „Die Antworten des Fragebogens stellen keine Fakten dar, sondern geben nur Anhaltspunkte, die im Gespräch mit der betroffenen Person besprochen werden sollten“, heißt es im Report. impulse-Mitglieder können eine ausdruckbare Version des Bogens hier herunterladen: Zum Download: Innere Kündigung erkennen: Wie Sie merken, ob ein Mitarbeiter innerlich gekündigt hat Ursachen: Warum gehen Menschen in die innere Kündigung? Hinter einer inneren Kündigung stecken laut Nicole Scheibner eine Reihe enttäuschter Erwartungen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer gehen neben dem offiziellen Arbeitsvertrag auch eine unausgesprochene Vereinbarung ein, den „psychologischen Vertrag“. Unternehmen etwa fordern von ihren Mitarbeitenden Verlässlichkeit, Flexibilität und Loyalität. Im Gegenzug erwarten Beschäftigte zum Beispiel eine durch Respekt geprägte Beziehung, Entwicklungsmöglichkeiten und ein Aufgabenpensum, das zu schaffen ist. „Es kann in Arbeitsbeziehungen zu Enttäuschungen und Fehlannahmen kommen“, erklärt die Psychologin. „Wenn Sie als Führungskraft nicht frühzeitig klären, dass bestimmte Erwartungen nicht erfüllt werden können, kann sich bei dem Beschäftigten großer Frust aufbauen.“ Schwierig sei auch, wenn Job und Mensch einfach nicht zusammenpassen, warnen die Autorinnen des iga-Reports: „So ist es beispielsweise für Menschen mit proaktiver Persönlichkeit eher unbefriedigend, in stark strukturierten Arbeitsfeldern mit wenigen Einflussmöglichkeiten tätig zu sein.“ Fehlverhalten von Führungskräften Die schlechte Nachricht für Chefinnen und Chefs: Sehr häufig hängen die Enttäuschung und der Rückzug in die innere Kündigung mit dem Verhalten der Führungskraft zusammen. Das berichteten auch die meisten Personen, mit denen Scheibner für ihren Forschungsbericht sprach. So bauten sich beispielsweise negative Gedanken auf wie: „Ich ackere und ackere und keiner dankt es mir.“ Mangelnde Anerkennung und Wertschätzung und fehlende Unterstützung lassen laut Nicole Scheibner besonders viel Frust entstehen. Häufig hätten sich Mitarbeitende zum Beispiel alleingelassen gefühlt mit einer Überforderung: „Es ist fatal, wenn jemand sagt: ‚Ich schaffe das hier nicht mehr‘, und die Führungskraft reagiert nicht.“ Als frustrierend wird auch wahrgenommen, wenn es zwischen dem Mitarbeiter und der Führungskraft zwischenmenschliche Probleme gebe und keine Bereitschaft signalisiert werde, diese Probleme aus der Welt zu räumen. Ein weiteres klassisches Fehlverhalten sei zu wenig Führung. Etwa wenn Aufgaben nicht gut abgegrenzt und Prozesse nicht klar strukturiert sind und dadurch im Team Konflikte aufkommen. Strukturelle Veränderungen im Unternehmen können Mitarbeitende ebenfalls frustrieren. Doch auch dabei sei es am wichtigsten, dass die direkte Führungskraft kontinuierlich im Gespräch mit den Beschäftigten bleibe und die Veränderungen einordne. Es komme darauf an, welche Haltung sie selbst in Bezug auf die Veränderungen einnehme. Lösungen: Was können Führungskräfte tun? Nicole Scheibner erlebt immer wieder, dass Führungskräfte sich vor einem Gespräch scheuen, wenn ihnen bei Mitarbeitenden ein verändertes Verhalten auffällt. Viele seien unsicher, wie sie das Thema ansprechen sollen. Die Psychologin rät, wohlwollend in das Gespräch zu gehen: „Schildern Sie dem Mitarbeiter oder der Mitarbeiterin: So nehme ich dich aktuell wahr. So nehme ich wahr, wie sich dein Engagement entwickelt hat.“ Führungskräfte sollten nach möglichen Ursachen sowie nach der Sicht der betroffenen Person fragen und vor allem signalisieren, dass sie sich Sorgen machen - und gemeinsam mit der Person nach möglichen Lösungsansätzen suchen. Wenn sich im Gespräch herausstellt, dass es in der Vergangenheit enttäuschte Erwartungen gab, sollten diese spätestens jetzt thematisiert werden. Die Psychologin rät, dabei nicht nur über Vergangenes (und eventuell nicht mehr Änderbares) zu sprechen, sondern den Fokus darauf zu lenken, was man in Zukunft ändern könne. Der schlimmste Fehler sei es, gar nicht miteinander zu sprechen. „Trifft eine Person die Entscheidung, ihr Engagement komplett herunterzufahren,und erlebt dann, dass seitens der Führungskraft keinerlei Reaktion erfolge, ist dies ein fatales Signal und bestätigt letztlich die Person in ihrer Sicht“, so die Expertin. [mehr-zum-thema] Womöglich stoße man im ersten Gespräch bei dem frustrierten Gegenüber nur auf taube Ohren und Ablehnung. „Doch so haben Sie wenigstens schon einmal signalisiert, dass Sie bemerken, dass etwas nicht stimmt“, sagt Scheibner. Wenn jemand über viele Jahre innerlich gekündigt habe, werde sich die Person womöglich nicht mehr öffnen, da sie sich immer weiter zurückzieht. Je eher eine Führungskraft eingreift, etwa wenn sie im vergangenen halben Jahr Veränderungen bemerkt habe, umso größer ist laut Scheibner die Chance, die Situation noch zu verändern. Wichtig sei dabei auch die Selbstreflexion der Führungskraft, denn: „Je eher ich auch als Führungskraft selbst bereit bin, einen Anteil an der Situation einzuräumen, etwa mögliche Versäumnisse, Arbeitsüberlastung, zu wenig Feedback oder Rückhalt, umso mehr wird auch der Beschäftigte bereit sein zu sagen: Da ist noch ein Weg zurück.“ Innerer Kündigung vorbeugen Vor allem präventiv können Führungskräfte sehr viel Einfluss nehmen, das sieht die Psychologin als gute Nachricht: „Sie können viel bewegen, wenn Sie nah an Ihrem Team dran sind“, sagt sie – wohl wissend, dass das nicht trivial ist für viele Chefinnen und Chefs, die im Arbeitsalltag stark durchgetaktet sind. Sie rät, sich regelmäßig zu fragen: Weiß ich, wie es meinen Leuten geht? Sind wir genügend im Gespräch? Bin ich ansprechbar? Passt die Aufgabenmenge? Braucht jemand Unterstützung? Ist jemand über- oder unterfordert? Vertrauen sich die Teammitglieder untereinander und mir als Führungskraft? „Ist all das gegeben, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr gering, dass ich jemanden in eine innere Kündigung verliere“, so die Expertin. Welche Folgen hat eine innere Kündigung? Der Unternehmenserfolg leidet, wenn Mitarbeitende nicht die Leistung bringen, die sie eigentlich könnten – das liegt auf der Hand. Gefährlich ist aber auch, dass die innere Kündigung ansteckend sein kann. Denn oft beklagen sich die chronisch unzufriedenen Mitarbeiter bei Kollegen, anstatt mit ihrer Führungskraft über ihre Gefühlslage zu sprechen. „Häufig ergeben sich Ausstrahlungseffekte auf Kolleginnen und Kollegen“, heißt es im iga-Report. „Das kann ein Teamgefüge massiv stören oder gar zerstören“, sagt Nicole Scheibner. Deshalb sei es auch für das Team wichtig, die Situation im Blick zu behalten und gegenzusteuern. Denn wenn eine Person im Team innerlich kündigt, führe dies häufig zu Mehrbelastung und angespannter Stimmung. Auch für den oder die Betroffen kann eine innere Kündigung schwerwiegende Folgen haben. „Die innere Kündigung ist keine Krankheit, macht aber in vielen Fällen krank“, sagt Nicole Scheibner. Betroffenen geht es oft psychisch schlecht, viele haben psychosomatische Probleme. Laut der Psychologin könne der Dauerfrust, der sich aus einer inneren Kündigung speist, auch die Entstehung einer Depression befördern. Bestehende psychische Erkrankungen können sich auf die Motivation auswirken: Bei Menschen, die unter einer psychischen Erkrankung leiden, trübe sich häufig auch der Blick auf ihre Tätigkeit. Und das könne wiederum den Zustand einer inneren Kündigung begünstigen. Warum suchen sich die chronisch Unzufriedenen keinen neuen Job? Eine innere Kündigung verlaufe laut Scheibner in verschiedenen Phasen. Ausgangspunkt ist immer, dass der psychologische Vertrag ins Ungleichgewicht kommt, also dass eine Erwartung enttäuscht wurde und eine Unzufriedenheit entsteht. Häufig würden die betroffenen Personen dann versuchen, dagegen anzukämpfen und Gespräche suchen, um eine Veränderung zu bewirken. „In dieser Phase habe ich als Führungskraft eine gute Chance, Veränderungen zu bemerken und etwas zu bewirken“, so die Psychologin. „Merken die Menschen jedoch, dass sie einfach nicht gehört werden – egal, wie sie sich drehen und wenden, fragen sie sich irgendwann: 'Wie gehe ich mit dem Frust um?'“ In dieser Situation reagieren Menschen laut Scheibner sehr unterschiedlich. Manch einer kündige, manch eine verändere ihre Sichtweise auf die Situation – aus Sicht der Psychologin seien das die gesündeste Entscheidungen. Andere würden sich jedoch womöglich sagen: „Die Rahmenbedingungen sind, wie sie sind. Ich will meinen guten Tarifvertrag oder meine Pensionsansprüche nicht aufgeben, also bleibe ich trotz meiner Unzufriedenheit und sitze das aus.“ Bei anderen kann es die private Situation unmöglich machen, den Job aufzugeben. Wie unterscheidet sich innere Kündigung von „Quiet Quitting“? Im Jahr 2022 ging ein englischer Begriff viral, den viele mit der inneren Kündigung gleichsetzten: „Quiet Quitting“. Zunächst auf der Social-Media-Plattform TikTok und dann in zahlreichen Medien wurde über das Phänomen berichtet, dass Menschen bei der Arbeit bewusst ihr Engagement herunterfahren und nur noch Dienst nach Vorschrift machen. Nicole Scheibner sieht jedoch entscheidende Unterschiede zur inneren Kündigung. „Beim ‚Quiet Quitting‘ geht es darum, dass jemand sagt: ‚Ich mache bei der Arbeit das, wofür ich bezahlt werde. Meine Arbeit erledige ich anständig, aber ich mache nicht mehr ständig Überstunden oder bin im Urlaub dauerhaft erreichbar‘“, erklärt die Psychologin. „Eine innere Kündigung hat eine andere Qualität. Da gibt es einen langen Frustrationsprozess und die bewusste Entscheidung, wirklich nur noch ein Minimum an Leistung zu bringen.“ Menschen, die sich fürs „Quiet Quitting“ entscheiden, mögen ihren Job in der Regel – sind allerdings der Ansicht, dass sich das Leben nicht nur um die Arbeit drehen sollte. Die Expertin erklärt diese Einstellung auch mit einem neuen Selbstbewusstsein unter Beschäftigten. Hinzu kämen die Erfahrungen vieler jüngerer Arbeitnehmer aus der Generation Z, dass sich die Elterngeneration im Job aufgerieben habe, kombiniert mit ständiger Erreichbarkeit und Entgrenzung. Die Entscheidung, sich nicht komplett für den Job aufzuopfern, sei eine Reaktion darauf. Auch wenn Arbeitgeber über diese Haltung vermutlich nicht glücklich seien, müssten sie sich laut der Psychologin ein Stück weit darauf einstellen. „Viele gerade jüngere Menschen haben inzwischen ein anderes Selbstverständnis von Arbeit“, sagt sie.