Change Fatigue: "Wann kommt mal wieder Ruhe?"

impulse: Herr Koch, Sie beschäftigen sich als Wirtschaftspsychologe unter anderem mit dem Phänomen Change Fatigue. Was ist das? Axel Koch: Eine Form der Erschöpfung: Mitarbeiter fühlen sich überfordert von den ständigen Veränderungen im Unternehmen. Für diese Belastung gibt es viele Begriffe – Change Fatigue, Change-Müdigkeit oder auch Change-Überdruss. Früher haben wir es organisationales Burnout genannt. Hinter allem steckt die Frage: Wann kommt mal wieder Ruhe? Vor allem, wenn sich alles so schnell verändert. Warum entsteht Change Fatigue überhaupt? In vielen Unternehmen gibt es immer mehr Veränderungen, die fließend ineinander übergehen und sich überlagern. Dadurch haben Mitarbeiter das Gefühl, die eine Neuerung angefangen und die andere noch nicht zu Ende gebracht zu haben. Sie laufen einen Veränderungs-Marathon und können irgendwann einfach nicht mehr. Doch statt sie innehalten zu lassen, treiben Chefs ihre Teammitglieder oft noch mehr an, motivieren und optimieren immer weiter. Die Wirkung ist so ähnlich, wie wenn du einem Pferd, das schon müde ist, noch zehnmal auf den Rücken schlägst – irgendwann fällt es um. Was passiert, wenn Unternehmer die Change Fatigue ignorieren? Die Folgen der Daueranspannung ähneln den Folgen, die auch eine einzelne Veränderung auslösen kann, treten nur im stärkeren Ausmaß auf: Menschen wirken unzufrieden, die Motivation und Leistung sinkt. Und wir erleben, dass Menschen zunehmend psychisch krank sind. Ob jemand mit seinen Bewältigungsfähigkeiten an seine Grenze kommt, kann sich ganz unterschiedlich zeigen: Manche sprechen es offen an, andere ziehen sich eher zurück. Was sollten Unternehmer tun? Sie müssen erst einmal einsehen, dass Veränderungen einen starken psychologischen Effekt haben. Es reicht nicht zu sagen: Diesen Change machen wir kurz mal. Denn Veränderung ist kein Sprint, sondern muss auf Dauer funktionieren. Und das bedeutet vor allem, dass Menschen Zeit brauchen. Unser Gehirn mag Stabilität – und wenn ich bestimmte Dinge immer auf eine bestimmte Weise gemacht habe, bedeutet Veränderung jedes Mal einen Abschied. Und braucht ein neues inneres Level an Akzeptanz. Wie kann man präventiv gegen Change Fatigue vorgehen? Indem alle Mitarbeiter von vornherein in die Lage gebracht werden, konstruktiv mitgestalten zu können. Dabei ist der erste Schritt, dass Mitarbeiter sich darüber bewusst werden, was die vielen Veränderungen bei ihnen auslösen. Manchmal nimmt man selbst ja gar nicht so wahr, dass man in ein negatives Muster abrutscht – und vielleicht häufiger wegen Neuerungen jammert. Der zweite Schritt ist, dass sie das Gefühl bekommen, etwas tun zu können. Also einen Spielraum haben, um Lösungen zu finden, mit denen die Veränderungen für sie selbst gut funktionieren. Haben Sie ein Beispiel? Ich habe gerade mit einer Firma zu tun, die für Mitarbeiter ein Format schafft, um Change-Fitness zu trainieren. Dort können sie reflektieren: Wie gehe ich eigentlich mit Veränderungen um? Was hilft mir, besser durchzukommen, wenn viel Veränderungsdruck herrscht? Wie kann ich für mich selbst sorgen und gleichzeitig Verantwortung dafür übernehmen, dass das Unternehmen vorankommt? [mehr-zum-thema] Was, wenn trotzdem jemand überfordert ist? Dann muss ich als Unternehmer die Ursachen klären. Die meisten Menschen werden auch dann nicht per se Change unwillig, sondern haben einfach Barrieren, über die ich mit ihnen sprechen muss. Der eine sagt: Ich habe fünf verschiedene Changes erlebt, und ich weiß nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Der andere sagt: Ich würde schon gerne mitgehen, aber ich weiß nicht, wie ich das im Tagesgeschäft umsetzen kann. Und der dritte: Ich bin ein Routinetyp, das überfordert mich alles total. Sind die Gründe für Change Fatigue von Mensch zu Mensch unterschiedlich? Es gibt Menschen, die Routinen vorziehen, aber die meisten sind grundsätzlich offen für Veränderung. Bei Change Fatigue gibt es immer einen Wendepunkt, an dem selbst ein veränderungsfreudiger Mitarbeiter zu jemandem werden kann, der abbremst. Dafür braucht es Auslöser: Zu viele Veränderungsprozesse, die aufeinander folgen, oder ein besonders großer Change, durch den sich das Jobprofil eines Angestellten besonders stark verändert. Einige Mitarbeitende sind ja super motiviert – ermüden die also auch? Führungskräfte freuen sich über besonders veränderungswillige Mitarbeiter. Denn sie können sie zum Beispiel zu Change-Multiplikatoren machen, um die anderen mitzureißen. Das macht auch Sinn, weil sie ihren Arbeitskollegen zeigen, wo es lang geht und warum der neue Weg positiv sein kann. Aber dadurch bekommen sie mitunter immer mehr zu tun und können auch irgendwann nicht mehr. Was macht man dann? Den Menschen zuhören, sie wahrnehmen und ernst nehmen. Wenn ein Mitarbeiter sagt: ‚Mir ist das zu viel, ich drehe am Rad‘, habe ich als Unternehmer drei Möglichkeiten. Erstens: Ich finde mit ihm gemeinsam einen Weg, indem wir etwas anpassen – etwa, indem ich den Mitarbeiter entlaste. Zweitens: Ich helfe ihm, seine Perspektive zu verändern. Oft reichen schon zusätzliche Informationen oder mehr Kontext, um Zusammenhänge besser zu verstehen. Drittens: Wir stellen fest, dass sich das Unternehmen so sehr verändert hat, dass es einfach nicht mehr passt und beide Seiten sich trennen müssen. Auch das kann passieren.

Change Fatigue: „Wann kommt mal wieder Ruhe?“