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Trotz regelmäßiger Mitarbeiter- oder Feedbackgespräche: Deine Teammitglieder leisten nicht das, was du dir wünscht? Das könnte an einem Phänomen liegen, das als Pygmalion- oder auch Rosenthal-Effekt bekannt ist.
„Es ist der mächtigste psychologische Effekt, den wir kennen“, erklärt Stephanie Schlüter, Führungskräftetrainerin aus dem nordrhein-westfälischen Rheda-Wiedenbrück. Wer versteht, wie er funktioniert, kann seine Führungsqualitäten deutlich verbessern.
Der Pygmalion-Effekt bzw. Rosenthal-Effekt – einfach erklärt
Der Pygmalion- oder Rosenthal-Effekt beschreibt das Phänomen, dass die eigenen Erwartungen die Leistung und das Verhalten anderer Menschen beeinflussen.
„Das Bild, das ich von jemand habe, was ich von ihr oder ihm halte, hat direkten Einfluss auf die Person“, sagt Schlüter. Traue ich zum Beispiel meiner Mitarbeiterin ein anspruchsvolles Projekt zu, wird sie es mit hoher Wahrscheinlichkeit gut meistern.
Der Pygmalion-Effekt funktioniert aber auch umgekehrt. Wenn ich ein negatives Bild von jemanden habe, wird er sich wahrscheinlich entsprechend verhalten. Anders ausgedrückt: „Wenn man als Führungskraft glaubt, von Idioten umstellt zu sein, dann wird es auch so kommen“, sagt Rüdiger Hossiep, Professor für Psychologie an der Ruhr-Universität Bochum.
Woher kommt der Name „Pygmalion-Effekt“?
So funktioniert der Pygmalion-Effekt
Der Pygmalion-Effekt ist also quasi eine selbsterfüllende Prophezeiung und wissenschaftlich gut belegt.
In den 1960er Jahren führten der Psychologe Robert Rosenthal – daher auch der Name „Rosenthal-Effekt“ – und die Schuldirektorin Lenore Jacobson ein Experiment durch: Sie teilten Lehrern und Lehrerinnen mit, dass bestimmte Schüler und Schülerinnen besonders intelligent seien und dass von ihnen sehr gute Leistungen erwartet werden können.
Was die Lehrkräfte allerdings nicht wussten: Die Kinder waren zufällig ausgewählt worden. Im Laufe des Schuljahres zeigte sich, dass die Ausgewählten bessere Leistungen erbrachten als ihre Mitschülerinnen und Mitschüler.
Der Grund für die gute Performance war, dass die Lehrer den „besonders Begabten“ mehr Aufmerksamkeit schenkten und sie stärker förderten. Die wiederum bemühten sich, die hohen Erwartungen der Lehrkräfte zu erfüllen, trauten sich mehr zu und konnten so ihre Leistungen steigern.
Der Pygmalion-Effekt funktioniert nicht nur im Klassenzimmer, sondern lässt sich auf alle Lebensbereiche übertragen, zum Beispiel in der Liebe oder in der Berufswelt.
Was der Pygmalion-Effekt in der Führung bewirkt
Führungskräfte können den Pygmalion-Effekt gezielt nutzen, um die Leistung und die Motivation ihrer Teams zu steigern.
Dabei kann der Effekt eine Aufwärtsspirale in Gang setzen: Denn wer viel von seinem Teammitglied hält, wird eher positives Feedback geben sowie spannende und verantwortungsvolle Aufgaben übertragen. Anerkennung und Wertschätzung wiederum stärken das Selbstvertrauen und motivieren für die nächste Herausforderung.
„Mitarbeitende spüren intuitiv, was ich als Führungskraft von ihnen denke, selbst wenn ich es nicht ausspreche“, sagt Schlüter. Entsprechend werden sie sich – ebenfalls intuitiv – verhalten, um die Chefin oder den Chef nicht zu enttäuschen.
Der Pygmalion-Effekt kann auch ins Negative umschlagen, die Rede ist dann vom Golem-Effekt. Wenn Führungskräfte beispielsweise glauben, dass die Assistentin unzuverlässig oder der Vertriebsmitarbeiter chaotisch ist, werden sich die negativen Erwartungen höchstwahrscheinlich erfüllen.
Denn wer spürt, dass die Chefin einem nichts zutraut, verliert irgendwann die Lust und das Selbstvertrauen. In der Folge sinken Motivation und Leistung. „Jeder will gefördert werden. Wer auf der Stelle tritt und keine Weiterentwicklung erfährt, geht schließlich in die innere Kündigung“, sagt Jürgen Haritz, Human-Ressource-Manager aus Frankfurt und Mitautor eines wissenschaftlichen Aufsatzes über den Pygmalion-Effekt.
Beispiele, wie du den Pygmalion-Effekt nutzt
Positiv denken und schon läuft es im Team – so einfach ist das nicht. „Man darf den Pygmalion-Effekt nicht als Führungstool wie ein Feedbackgespräch verstehen“, sagt Schlüter. Vielmehr geht es darum, eine positive Grundhaltung zu entwickeln und Vertrauen in die Fähigkeiten der Mitarbeiter aufzubauen.
So gesehen hilft das Wissen um den Pygmalion-Effekt, den Grundstein für eine gute Führungskultur zu legen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er positiv wirkt, steigt, wenn du …
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- Teammitgliedern mehr zutraust: Behandle deine Leute immer ein bisschen besser, als du glaubst, dass sie wirklich sind, empfiehlt der Psychologe Rüdiger Hossiep. „Aber immer nur ein Stückchen drüber.“ Denn wer eine spannende und verantwortungsvolle Aufgabe bekommt, die er sich selbst nicht zugetraut hätte, fühlt sich wertgeschätzt und empfindet das als Anerkennung, ergänzt der Experte Jürgen Haritz. Ein Tipp: Bewerte dein Vertrauen in die Fähigkeiten einzelner Mitarbeiter auf einer Skala von 1 bis 10 – und tu so, als hättest du 3 Punkte mehr notiert.
- realistisch bleibst. Es bringt nichts, wenn du nach dem Motto „viel hilft viel“ extrem viel von den Mitarbeitenden erwartest. „Unrealistisch hohe Erwartungen werden als Bedrohung empfunden und wirken demotivierend“, sagt Jürgen Haritz.
- einen Vertrauensvorschuss gibst: Aus dem ersten Punkt folgt, dass du darauf vertrauen solltest, dass die Mitarbeiterin die Aufgabe meistert. Das fängt schon bei den Gedanken an. Ein gedanklicher Vertrauensvorschuss könnte zum Beispiel so aussehen: „Sie wird die Powerpoint-Präsentation sicher gut vorbereiten.“ Statt: „Hoffentlich sieht die Präsentation nicht wieder aus wie Kraut und Rüben.“ Ähnlich kann sich ein Vertrauensvorschuss auch im Onboarding neuer Fachkräfte auswirken. Statt dem Neuankömmling mit der Haltung zu begegnen: „Vertrauen muss man sich erst verdienen“, solltest du ihm gleich attraktive Projekte anvertrauen.
- Geduld zeigst: Erwarte nicht, dass der Pygmalion-Effekt sofort eintritt, weil du einmal einem Mitarbeiter etwas zugetraut hast. Vielmehr stellt sich ein positiver Effekt erst über einen längeren Zeitraum ein, wenn du deine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kontinuierlich förderst, forderst und ihnen regelmäßig positives Feedback gibst.
Drei Schritte, wie du positiv über Mitarbeitende denkst
Doch wie komme ich zu einer positiven Grundeinstellung? Es hilft, sich bewusst zu machen: Wie denke ich wirklich über mein Team? Führungskräftetrainerin Stephanie Schlüter empfiehlt hierfür ein Vorgehen in drei Schritten.
- Zuerst machst du eine Status-quo-Analyse. Dazu schreibst du alle Namen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf eine Liste. Hinter jeden Namen schreibst du drei Adjektive, zum Beispiel faul, leistungsstark, langsam, engagiert usw.
- Im zweiten Schritt schreibst du hinter jedes Adjektiv ein Plus- oder Minuszeichen, je nachdem, ob es positiv oder negativ ist. Jetzt hast du schwarz auf weiß, zu welchem Mitarbeiter du eher eine negative Einstellung hast.
- Im dritten Schritt streichst du die Schwächen und ersetzt sie durch Stärken. So lenkst du den Fokus auf das, was gut läuft. Idealerweise nimmst du dir die Liste immer wieder vor, um die positive Haltung zu verinnerlichen.
Bei dem Vorgehen geht es nicht darum, Fehler oder negatives Verhalten unter den Teppich zu kehren. Wer sie entdeckt, sollte das Gespräch suchen, die Sache klären und gemeinsam Lösungen erarbeiten. „Am besten sofort und direkt. So entsteht erst gar keine negative Grundhaltung“, sagt Schlüter.
Stephanie Schlüter ist Diplom-Pädagogin und war fast acht Jahre in einem Konzern für die Entwicklung von Führungskräften zuständig. Heute coacht sie als selbstständige Trainerin Chefs und Chefinnen in mittelständischen und großen Betrieben.
Jürgen Haritz ist Experte und Unternehmensberater für Human Ressource Management. Er hat unter anderem das Fach an Hochschulen gelehrt. In seiner Arbeit beschäftigte er sich auch mit dem Pygmalion-Effekt.
Rüdiger Hossiep ist Wirtschafts- und Personalpsychologe und lehrt seit 1990 Psychologische Diagnostik an der Ruhr-Universität Bochum. Er beschäftigt sich insbesondere mit Persönlichkeitstest in der Personalauswahl und -entwicklung.
